Heiliger Stuhl appelliert an Moral und Rechtsverständnis der italienischen Regierung
ROM, 21. Januar 2011.- Es ist bekannt, dass sich der Vatikan in die Belange der italienischen Politik nur dann einmischt, wenn sie bestimmte Themen berührt, die der Kirche sehr am Herzen liegen. Dazu gehören in erster Linie Familie, Abort, Euthanasie, Bioethik, aber auch Ausländer- und Sozialpolitik. Nur äußerst selten kommentiert der Heilige Stuhl Skandale von Regierungsmitgliedern und Institutionen, die seit jeher die politische Landschaft Italiens kennzeichnen. Möglicherweise soll seine neutrale Haltung verhindern, dass er zwischen die Fronten der bis aufs Blut streitenden rechten und linken Parteiblöcke gerät und seine Position instrumentalisiert wird.
Doch diesmal konnte der Heilige Stuhl sich nicht zurückhalten. Es ist der jüngste durch die Weltpresse gegangene Sex-Skandal von Silvio Berlusconi, der den Vatikan aus seiner gewohnten Neutralität lockte. Gegen den Regierungschef wird zur Zeit wegen Anstiftung zur Prostitution von Minderjährigen und Amtsmissbrauch ermittelt. Der Skandal weitet sich zu einer Krise der Institutionen aus, da Berlusconi die Anschuldigungen abstreitet und sich weigert vor Gericht zu erscheinen. Stattdessen bezeichnete er in verschiedenen Fernsehaufzeichnungen die ermittelnden Mailänder Staatsanwaltschaft als Werkzeug der Opposition, die ihn politisch zu Fall bringen wolle. Es droht ein Delegitimierung der Justiz.
Der Heilige Stuhl ging bei seinem Protest sehr diplomatisch vor. Zunächst verbreitete er den Appell des hoch angesehenen Staatspräsidenten Giorgio Napoletano, indem er vor drei Tagen im offiziellen Organ, dem L’Osservatore Romano, dessen Aufruf an Berlusconi und die politischen Kräfte publizierte. Jene sollen den Fall vor Gericht und nicht im Parlament so schnell wie möglich lösen, um nicht das Ansehen Italiens länger zu strapazieren. Gestern konnte die Presse dem Staatssekretär Kardinal Tarcisio Bertone auch noch eine persönliche Stellungnahme entlocken, die in den Nachrichten landesweit Eche fand. Bertone unterstrich die übereinstimmende Linie des Vatikans mit dem Quirinal in einem halboffiziellen Interview auf der Einweihungsfeier im Kinderkrankenhaus Bambino Gesù. „Ihr habt die Bemerkungen des Staatspräsidenten (Quirinal) im L’Osservatore Romano gelesen“, gab der Purpurträger den Journalisten zur Antwort, als diese ihn mit Fragen zu der Position der Kirche hinsichtlich der Eskapaden des Premiers bedrängten.
Der Kardinalstaatssekretär wurde anschließend noch deutlicher: „Der Heilige Stuhl verfolgt mit großer Aufmerksamkeit und besonderer Sorge diese Ereignisse in Italien, mit der Intention, das Bewusstsein einer größeren Verantwortlichkeit zu wecken, vor allem gegenüber den Familien und der jungen Generation, in Bezug auf Fragen der Vorbildlichkeit und Problemen, die die italienische Gesellschaft belasten. Die Kirche fordert alle auf, aber insbesondere diejenigen, die öffentliche Verantwortung in Verwaltung, Politik oder Justiz tragen, sich darum zu bemühen, eine stärkere Moral, Sinn für Gerechtigkeit und Legalität an den Tag zu legen.“ Er fügte hinzu: „Ich glaube, dass Moral, Gerechtigkeit und Legalität die Angelpunkte einer Gesellschaft sind, die wachsen und positive Antworten auf die Probleme unsere Zeit geben möchte.“
Im Hinblick auf die lauter werdende Kritik aus katholischen Reihen zu dem langen Schweigen des Vatikans verteidigte der Kardinal seine Strategie der verdeckten Diplomatie: „Der Heilige Stuhl besitzt seine Kanäle, seine Modalitäten der Intervention und gibt keine öffentlichen Erklärungen ab.“