Landesweit Demonstrationen für Rechte und Würde der Frau
Zahlreiche Katholiken schlossen sich gestern den landesweiten Protesten gegen das sexistische Frauenbild an, das durch die Skandale des Premiers und das italienische Fernsehen vermittelte wird. Unter dem Slogan „Für die Würde der Frau“ fanden in über 230 Städten Kundgebungen, Lesungen und Flashmobs auf Plätzen und vor Regierungsgebäuden statt. Zu der Initiative hatten im Internet unabhängige Familien- und Frauenverbänden sowie weibliche Prominenz aus der Kulturszene aufgerufen. Die Organisatoren sprechen von über einer Million Teilnehmer.
Die private Aktion sprach sich wie ein Lauffeuer herum und fand auch in katholischen Kreisen große Resonanz. Marco Tarquinio, Direktor von Avvenire, der Zeitung der italienischen Bischofskonferenz, hat persönlich am Vortag für eine Teilnahme aller Frauen an der Demonstration plädiert:
„Wenn ich eine Frau wäre, würde ich morgen auf die Straße gehen… als Gläubiger und freier Mensch, weil sich mein Herz und Verstand auflehnen. Ich würde demonstrieren für die Würde und das Moralempfinden der Frau…“ Es folgt aber auch ein spezifischer Appell an die Müttergeneration, die er für die Wertevermittlung mitverantwortlich sieht: „Ich würde mich selbst und die anderen Frauen mit lauter Stimme fragen, was wir unseren Töchtern beigebracht haben, die ihre eigene Käuflichkeit als eine Investition wie jede andere betrachten.“
Tarquinio spielt nicht nur auf die blutjungen Showgirls, Fotomodelle und Escorts an, die laut Mailänder Staatsanwaltschaft von Berlusconi für orgiastische Privatfeste angeheuert und teuer bezahlt wurden. Sein Ansinnen richtet sich vor allem gegen die junge Generation von Italienerinnen, für die das in den Medien propagierte Frauenbild – allein ein zur Schau gestellter schöner Körper sei ausschlaggebend für den Erfolg im Beruf und Leben – ein nachahmenswertes Modell darstellt. Umfragen zufolge betrachten viele Heranwachsende sexuelle Dienstleistungen nicht nur als einen bequemeren Weg zu Geld und Erfolg in einem Land mit großen Hürden für Berufsanfänger. Schockierend ist, dass sie die visuelle und physische Vermarktung des eigenen Körpers für Karrierezwecke nicht einmal verwerflich finden. Mit den aufgedeckten Sexaffären des Regierungschefs und seiner Parteigenossen wurden solche Gepflogenheiten im Showbusiness, aber eben auch im politischen Alltag publik. So hätte Berlusconi einige seiner ambitionierten Partygirls mit Ämtern versehen.
Auf der Kundgebung in Rom, die größte im Lande, erntete die Rede einer Ordensfrau besonderen Applaus. Mit der siebzigjährigen Missionsschwester Eugenia Bonetti trat eine Expertin in Fragen verletzter Frauenwürde auf die Rednertribüne der von Menschen überberstenden Piazza del Popolo. Seit Jahrzehnten betreut und hilft sie Prostituierten in italienischen Städten, die die Not zu diesem Gewerbe gedrängt hat. Knapp fünftausend Frauen hätte sie von der Straße geholt und ihnen ihre „Würde zurückgegeben“. Sie leitet seit elf Jahren das römische Büro der Italienischen Vereinigung der Generaloberinnen (USMI), das gegen den Frauenhandel zwecks sexueller Ausbeutung kämpft.
Ihr Auftritt war ungeduldig erwartet, denn Schwester Eugenia hatte sich am 27. Januar online in einem Brief zu dem Problem des neuen italienischen Frauenbildes geäußert, der überraschendes Echo in der Öffentlichkeit fand.
Ihre gestrigen Worte waren unmissverständlich:
„Vor kurzem hat man versucht, die Straßenprostitution abzuschaffen, weil sie angeblich das Auge des so genannten rechtschaffenen Bürgertums störte. Man dachte dieses Problem gelöst zu haben, indem man diese Frauen an weniger sichtbare Orte verfrachtete. Dabei wurde uns nicht bewusst, dass mittlerweile die Prostitution des Körpers und Bildes der Frau ein fester Bestandteil der Nachrichten und Sendungen im Fernsehen geworden ist, der täglich gebotenen Lebenskultur, die sogar die Kinder nicht ausnimmt, die wir hingegen schützen wollten und es zu tun glaubten. All das verleitet zur Ausbeutung, zum Missbrauch, zur Vergnügungssucht und Macht, ohne sich im mindesten um die verheerenden Konsequenzen für unsere Jugend Gedanken zu machen, denen schließlich diese Modelle und Ziele als erstrebenswert vorgesetzt werden.“
Die Missionarin sieht die ganze Nation als verantwortlich für diesen kulturellen und sozialen Verfall und schließt mit einem Appell an alle Institutionen, die „chauvinistische Männerwelt“, die Medien, Schulen, Pfarrgemeinden und natürlich an die Familien, gemeinsam die Werte wieder zurückzuholen, auf denen das Gemeinwohl einer Gesellschaft basiert, die Menschenwürde als höchstes Gut anerkennt, sie schützt und fördert.
Ihre Ansprache ist in vollständiger Fassung in der katholischen Wochenzeitung Famiglia Cristiana publiziert:
http://www.famigliacristiana.it/Informazione/News/articolo/suor-eugenia-la-donna-non-e-una-merce_130211150824.aspx