Schuh-Mogul finanziert Restaurierung des Kolosseum
„Wenn das Kolosseum fällt, fällt auch Rom, und wenn Rom fällt, fällt die ganze Welt.“
Würde man den berühmten Vergleich des Benediktinermönchs Beda Venerabilis aus dem 8. Jahrhundert als triste Prophezeiung deuten, müssten sich nicht nur die römischen Stadtväter ernsthafte Sorgen machen: Für den mittelalterlichen Gelehrten war das Kolosseum als prächtigstes unter den antiken Amphitheatern höchster Ausdruck von Weltzivilisation und dessen Verfall Vorzeichen des Untergangs des westlichen Abendlandes.
Nun, zur Abendlandkultur möchte man keine Prognosen abgeben, aber um das Kolosseum ist es sichtbar schlecht bestellt. Denn das Wahrzeichen der einstigen Größe Roms steht seit Jahrzehnten von Straßenstaub und Abgasen geschwärzt im Stadtverkehr und droht langsam aber sicher darin unterzugehen. Die ständigen Erschütterungen durch die nahe gelegene U-Bahnlinie und den Busverkehr haben zu Rissen im Mauerwerk geführt, durch die Regenwasser eindringt und den Stein zu sprengen droht. Erst im vergangenen Mai ist ein Quadratmeter großes Stück Putz in einem der Bogengänge heruntergestürzt, und es war ein Glück, dass dies außerhalb der Besuchszeiten des Amphitheaters geschah. Die scherzhafte Behauptung der Einheimischen, die letzten vierzig Jahre Verkehr und Massentourismus hätten den antiken freistehenden Monumenten mehr Schaden angerichtet als die letzten zweitausend Jahren, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
Die Stadtregierung ist sich der Bedrohung durchaus bewusst. Trotzdem ließ man unnötig viel Zeit verstreichen. Eine Reinigung und Instandsetzung der Fassade war ursprünglich schon für das Pilgerjubiläum im Jahr 2000 vorgesehen, als Millionenbeträge vom Staat in die „Verschönerung“ der Stadt gepumpt wurden. Damals, hieß es, sollten vorher erst Ausgrabungen unter der Arena sowie eine minuziöse Bauaufnahme, die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Archäologischen Institut durchgeführt wurde, abgeschlossen werden. Und als man eigentlich mit der Restaurierung hätte loslegen können, war plötzlich kein Geld mehr da. Besonders der Kultursektor leidet unter dem massiven Sparprogramm der Mitte-Rechts-Regierung, das Personal- und Budgetkürzungen bis zu 30 Prozent vorsieht. Selbst Pompeji ist nicht davon verschont geblieben. So geben viele Archäologen dem Mangel an Fachpersonal und Geldern für Wartung der antiken Häuser die Schuld an dem spektakulären Zusammensturz der Gladiatorenschule im letzten Sommer. Das sollte sich in Rom nicht wiederholen!
Also mussten Sponsoren aus der freien Wirtschaft her. Und das war einfacher gesagt als getan. Angeregt durch die positive Erfahrung mit der Restaurierung der Sixtinischen Kapelle, die damals von einem japanischen Fernsehkanal gesponsert wurde, warb Bürgermeister Gianni Alemanno bereits seit 2008 im Ausland verstärkt um Geldgeber für die Rettung des maroden Kolosseums. Allerdings schwebte dem Bürgermeister ursprünglich eine internationale Riege von privaten Geldgebern vor und nicht ein einzelner, wie er mehrfach der Presse mitteilte. Ein alleiniger Sponsor könnte sich zu sehr in den Vordergrund spielen und seine Konditionen diktieren. Er könnte die Riesen-Sanierung zu Marketingzwecken ausschlachten und das Wahrzeichen Roms zu seinem eigenen Logo machen. Dass sich um das Prestigeprojekt jedoch kaum ein freiwilliger Retter, nicht einmal aus dem italophilen japanischen Raum, reißen würde, damit hatte der Stadtrat sicher nicht gerechnet.
Der am 4. August 2010 vom Ministerium für Kulturgüter und der Kommune Rom ausgeschriebene Wettbewerb brachte offensichtlich nicht die erhofften Finanziers. Die Ausschreiber hüllten sich monatelang in Schweigen. Angeblich sollen fünf Bewerber sofort abgesprungen sein, als sie das Kleingedruckte in den Verträgen lasen. In dem ersten Vertrag verlangte das Ministerium von den zukünftigen Sponsoren außer der Übernahme der auf 25 Mio. Euro geschätzten Kosten auch die gesamte Verantwortung für Projektierung, Leitung und Ausführung der Arbeiten. Im Falle von Fristüberschreitungen hätten diese die Strafgebühren zu tragen. Alle inhaltlichen Entscheidungen, die die Restaurierung betreffen, sowohl die Auswahl der Firmen und Fachkräfte oblägen der Soprintendenza. Außerdem dürften keine Werbeplakate auf den Baugerüsten der Außenfassade gehisst werden.
Damit wurde offenbar die Sponsorisierung für die Privatfirmen zu einem unattraktiven Geschäft. Zum Schluss blieb der Konzernchef von Tod’s, Diego Della Valle als alleiniger Anbieter übrig. Somit war Alemanno gezwungen, das „Geschenk“ zu den Konditionen des erfolgreichen Schuhfabrikant aus den Marken zu akzeptieren. Della Valle hat einige Modifikationen des Vertrages zu seinen Gunsten aushandeln können. So sind die Verantwortlichkeiten auf beide Parteien umverteilt worden und der Schuh-Mogul darf nun auch sein Firmenzeichen und im geringen Maß Werbung an der Fassade anbringen, allerdings nur in der Sockelzone. Er hat zwar nicht die ausschließlichen Publikationsrechte der Restaurierungsdokumentation erkämpfen können, aber er darf das Bildmaterial nach Herzenslust zu eigenen Werbezwecken für seine Produkte einsetzen. Am 24. Januar wurde das Projekt und sein Mäzen endlich in einer Pressekonferenz des Ministeriums vorgestellt.
Die Arbeiten beginnen Ende des Jahres und sollen spätestens in 36 Monaten abgeschlossen sein. Währenddessen wird der Besuch des Kolosseums weiter garantiert sein. Das Projekt setzt sich aus acht Einzelprojekten zusammen: eine umfassende Restaurierung der Nord- und Südfassade und dreigeschossigen Arkadengänge; die Konsolidierung des Untergeschosses. All diese Bereiche des Amphitheaters sollen zukünftig für die Touristen nach und nach erschlossen werden. Bisher ist nur das erste Obergeschoss zugänglich. Ferner sollen eine neue Beleuchtung-, Videoüberwachungs- und Alarmanlage installiert und die schäbigen Bauzäune als Verschluss der unteren achtzig Arkaden durch eine Imitation von antiken Gitter ausgetauscht werden. Außerdem wird vor dem Kolosseum ein Besucherzentrum mit Bookshop, Cafeteria und Toiletten für die jährlich fast fünf Millionen Touristen eingerichtet.
Die Erhaltung des flavischen Amphitheaters als Zeugnis des frühchristlichen Märtyrertums liegt auch der Kirche von jeher am Herzen, waren es doch die Päpste, die in den Zeiten des Kirchenstaates eine erste Restaurierung des als Steinbruch missbrauchten Baus veranlassten. In dem Ansinnen, dass in seiner Arena viele Christen ihr Leben gelassen hätten, wollte man das Monument für die Nachwelt erhalten. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurden einbruchgefährdete Mauern versiegelt, das Attikageschoss gestützt und andere Maßnahmen zu seinem Schutz ergriffen. Noch heute erinnern Inschriften an diese Rettungsaktionen von Benedikt XIV. (1740-58) und Pius IX. (1846-78). Ersterer hatte das Kolosseum in eine Kirche für Christus und die Märtyrer geweiht und außerdem vierzehn Altäre für die Via Crucis in der Arena aufgestellt. Auch wenn die Historiker heute das Amphitheater nicht mehr für den tatsächlichen Hinrichtungsort der frühen Christen halten und die Altäre entfernen wurden, so ist es für die katholische Kirche ein symbolischer Ort des christlichen Martyriums geworden, stellvertretend für alle anderen Stätten, wo Christen gekreuzigt oder wilden Löwen vorgeworfen wurden. Deswegen findet nach wie vor der Kreuzweg am Karfreitag dort statt. Möglicherweise werden die nächsten beiden Karfreitagsprozessionen zwischen unschönen Baugerüsten passieren müssen.
Aber das werden der Papst und die Gläubigen angesichts des noblen Zwecks gerne hinnehmen. Schließlich hat die aufwendige Suche nach einem Geldgeber doch noch einen guten Ausgang genommen. Kultusminister Sandro Bondi propagiert seit Beginn seines Mandats eifrig das neue politische Modell der Sponsorierung von Kulturgütern durch die Privatwirtschaft – zur Entlastung des Staats. Falls der Staat wie angekündigt diese private Kulturpolitik tatsächlich landesweit durchsetzen sollte, werden Archäologen und Kunsthistoriker über das Schicksal des Abendlandkulturerbes berechtigte Sorge äußern dürfen. Denn wenn man sich die Anstrengungen und den Zeitaufwand für die Rettung des Kolosseums, – zweifellos der Publikumsmagnet des Rom-Tourismus – vor Augen hält, mag man sich die Zukunft von weniger bekannten, aber dringend restaurierungsbedürftige Monumenten nur ungern ausmalen.