Londoner Institute of Psychiatry: „Eis macht glücklich“
Rom. Allein das Füllen einer Eiswaffel ist Bestandteil der arte del gelato: Mit dem Spachtel holt der gelataio die cremige Masse aus dem Eisbottich, streicht sie mehrmals am Behälterrand ab, um sie geschmeidig zu machen und dann die gewünschte Portion mit eleganter Geste auf die Waffel zu befördern. Das erfordert einige Übung und Geschick, denn die Waffel kann leicht zerbrechen oder der kunstvoll aufgetürmte Eisberg wieder herunterrutschen. Man verzichtet bewusst den Kugelausstecher, der zwar gleichmäßige Portionen garantiert, aber für jede Eissorte kurz in Wasser getaucht werden muss: Selbst geringfügige Eiskristalle könnten sich negativ auf das Aroma auswirken oder gar das Eis verwässern.
Aber keine Sorge, die Portionen sind in der Regel großzügig bemessen, — der Preis richtet sich nach der Anzahl der gewählten gusti, der Eissorten – und der Käufer balanciert bisweilen wahre Eispyramiden in der Hand und hat Not, diese zu vertilgen, bevor die kühle Freude von der Tüte rinnt. Bis auf wenige Ausnahmen bieten die engen römischen Eisdielen keine Sitzmöglichkeiten, handelt es sich doch um eine klassische „Straßenspeise“, die auf dem Spaziergang verzehrt wird, zumeist mit Freunden zum Abschluss eines Essens.
Boom der beliebtesten Süßspeise in Italien
In den letzten Jahren jedoch scheint der Speiseeiskonsum immer weniger an eine Jahres- oder Tageszeit gebunden zu sein. Mögen der vom italienischen Gesundheitsministerium bescheinigte hohe Nährwert des gelato artigianale zu seiner außerordentlichen Beliebtheit rund um die Uhr beigetragen haben. Eisdielen schießen wie Pilze aus dem Boden und prägen heute das Bild der römischen Altstadtgassen. Der Besucher, angelockt durch die meterlangen, offenen Theken, in denen ständig neue Eiskreationen in alle Farben ausgestellt sind, oft garniert mit frischen Früchten, Nüssen, Schokolade und allerlei bunten Sirups, hat die Qual der Wahl nicht nur hinsichtlich der Sorten.
Allerdings gelato ist nicht gleich gelato! Artigianale, handgemacht nach den Regeln der Kunst, darf sich nur eine Eisdiele mit eigener Produktionstätte nennen. Und selbst hier gibt es große Qualitätsunterschiede, die dem sensiblen Gaumen nicht entgehen. Während die meisten Eisdielen für ihre Produktion auf industriell vorgefertigte Basiscremes (Milchspeiseeis), fertige Geschmackskreationen (alla Barbie!), künstliche Aromen und Farbstoffe sowie Konservierungsstoffe zurückgreifen, versuchen einige wenige Gelaterie sich mit hoher Qualität und Reinheit der Ingredienzien aus der Masse herauszuheben.
Rückkehr zu alten Rezepten: Gelateria San Crispino
Die vielfach prämierte Gelateria San Crispino in der Nähe des Trevibrunnen steht hier an erster Stelle. Die beiden Brüder Pasquale e Peppino Alongi aus Meran geben ihre bei der Mutter erlernte Kunst der Eisherstellung seit 1992 in Rom zum Besten und dürfen als Pioniere dieses Trends gelten. Ihr Erfolgsrezept: erlesene und nur frische Zutaten der Saison und Leidenschaft für antike Rezepte gepaart mit einer Portion Experimentierfreude. Die Nüsse stammen aus dem Piemont, die Pistazien aus dem sizilianischen Bronte und der Honig aus einem WWF-Naturschutzgebiet in Sardinien. Eine besondere Prozedur verlangt die Verarbeitung der unbehandelten Zitronen von der sonnenverwöhnten Amalfi-Küste. Um dem daraus gewonnenen Sorbet seinen außergewöhnlichen Geschmack zu verleihen wird der Fruchtsaft nicht wie gewöhnlich auf einer rotierenden Presse gewonnen. Auf einem eigens entwickeltem Apparat werden die Zitronen vielmehr mit der Schale gepresst, um so auch die darin enthaltenen Aromastoffe zu erhalten. Natürlich wird gänzlich auf chemische Zusätze verzichtet.
„Unser einziges Konservierungsmittel ist die Kälte, -35°C“, erklärt Pasquale. In der Tat versteckt sich ein kompliziertes Kühlungssystem hinter den Nostalgie beschwörenden runden, im Tresen eingelassenen Eisbehältern, die dem Besucher sofort beim Betreten der sonst unscheinbaren, schmalen Eisdiele auffallen. Da jede Eissorte zur Bewahrung ihrer Cremigkeit und Weichheit eine spezifische Temperatur verlangt, wird die Kühlung für jeden einzelnen Behälter definiert und elektronisch reguliert. Die Köstlichkeiten liegen verborgen unter schimmernden Metallhauben. Jedoch allein die Beschriftung klingt verheißungsvoll und lässt die Besonderheit dieser Eisdelikatesse erahnen: San Crispino, eine zarte Creme mit Honig vom Erdbeerbaum, ein Rezept aus der Renaissance; crema del malpighi, eine mit einem edlen alten, nach Kirsch-Wachholder duftenden Essig gewürzten Eiscreme; Rum-Marronen-Eis, Armagnac-Creme, Creme mit frischen Nüssen und getrockneten-Feigen, Lakritzwurzeleis oder die crema al passito, einer Beerenauslese aus Pantelleria, die dem Eis einen seidigen Gout mit einem Nachgeschmack aus Karamell und Tabak verleiht.
Schon Kaiser Nero schleckte gerne Eis
In der Tat klingen hier antike Rezepturen an und erinnern daran, dass Speiseeis keine moderne Erfindung ist. Die Anfänge in Form von Fruchtsorbets reichen weit in das zweite vorchristliche Jahrtausend zurück. Die Technik der Eisernte und Lagerung in Gruben wurde in China und im Orient entwickelt. Dort wurden gesägtes Gletschereis und gepresster Schnee hunderte von Kilometern mit Pferdekarren oder Kamelkarawanen in die Städte transportiert, um Getränke zu kühlen und Fruchtpüres zu frieren. Auch die antiken Griechen und Römer reichten eine Mischung aus Schnee, Früchten, Honig und Rosenwasser als besondere Erfrischung auf den Gastmählern. Der Kaiser Nero ließ sich Eisblöcke vom Monte Terminillo herbeischleppen, aber auch per Schiff vom Etna und Vesuv.
Im frühen Mittelalter ging diese Speise im Westen verloren. Erst um die Jahrtausendwende wurde sie von Arabern in Sizilien, dem zukünftigen Zentrum der europäischen Eismode, erneut eingeführt, und zwar in verfeinerter Rezeptur: man süsste die Eismischung mit dem begehrten Rohrzucker und fertigte Sorbets aus dem Saft von Zitrusfrüchten, deren Kultivierung an den sonnigen Abhängen des Ätna vorangetrieben wurde. Von arabisch Scherbet, süsser Schnee, leitet sich wahrscheinlich die italienische Bezeichnung sorbetto ab. Unter den seit der Renaissance so gefragten sizilianischen Eismacher sticht Procopio de’ Cultellis heraus, der zum Koch am Hofe des Sonnenkönigs avancierte und 1686 den ersten Eissalon in Paris eröffnete, das berühmte Café Procope. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts schließlich kreierte ein französischer Koch am englischen Königshof das erste cremige Milcheis, das den Auftakt zur Eisbombenmode an den Tafeln der Oberschicht gab. Aber erst die Erfindung von Lindes Kältemaschine 1881 verhalf dem Speiseeis zum Durchbruch als nun auch für das einfache Volk erschwinglichen Massenware.
Eis macht glücklich! Das Londoner Institute of Psychiatry hat kürzlich mittels des brain imaging Verfahren festgestellt, dass mit nur einem Löffel Eiscreme in den dafür zuständigen Gehirnregionen Glücksgefühle auslöst werden kann und zwar noch stärker als bei dem Genuss von Schokolade. Wenn das kein weiterer Grund sein sollte, sich diesem Lebenselixier bedenkenlos hinzugeben!