Valentinstag mit Bernini in Rom
ROM, 14. Februar 2012. – Wäre die Marmorskulptur „Apoll und Daphne“ von Lorenzo Bernini nicht schon vor knapp vierhundert Jahren entstanden, könnte man sie glatt für einen modernen Werbegag zum Valentinstag halten. Was eignet sich besser für den zum Business verkommenen Festtag der Verliebten als eine ironische Auseinandersetzung mit leiblichen Liebesgelüsten? Das marmorne Götterpaar ist jedenfalls zu einer beliebten Pilgeretappe für römische Liebespaare am Valentinstag geworden – neben dem Besuch der Reliquien des Heiligen in der Kirche S. Maria in Cosmedin versteht sich.
Die Gruppe ziert als Highlight die Sammlung der Familie Borghese in dem gleichnamigen Park vor den Toren der Stadt. Anstoß für die alljährliche Aufwartung von Verliebten gab eine Initiative des italienischen Kultusministeriums vor drei Jahren. Mit dem Slogan „Am Valentinstag verliebt in die Kunst“ wirbt sie seitdem am 14. Februar für Museumsbesuche. Ziel der alternativen Marketingidee war, die junge Generation, die sich gewöhnlich für Altertümer und Museen nur schwer erwärmen lässt, an Kunst heranzuführen. Als Anreiz erhalten alle Besucherpaare an der Kasse der staatlichen Museen eine Freikarte. Aber die Geldersparnis scheint nicht das einzige Lockmittel zu sein. Offenbar dem üblichen Geschenkkonsum überdrüssig, folgten bisher zahlreiche Verliebte der Aufforderung, sich geistig wie sinnlich mit dem Thema „Liebe“ in der bildenden Kunst zu beschäftigen. Trotz Schnee und Kälte bildeten sich auch dieses Jahr wieder lange Besucherschlangen vor der Galleria Borghese.
Der nur 24 Jahre junge Bernini hatte sich bei der Wahl des Genre aus der zu seiner Zeit wieder hochaktuellen griechischen Mythologie inspirieren lassen. Die unterhaltsamen wie turbulenten Liebes- und Leidensgeschichten der griechische Götter boten einen reichen Fundus von transzendentaler bis zur erotischen Liebe. Man denke nur an die amourösen Abenteuer von Schwerenöter Zeus, denen selbst die Racheaktionen von eifersüchtiger Ehefrau Hera nicht Einhalt gebieten konnte.
Der Künstler wählte jedoch für die lebensgroße Marmorgruppe nicht das übliche Thema „erfüllter Liebe“. Vielmehr reizte ihn das Gegenteil: die Schmach und Pein von nicht erwiderter Liebe! Wem ist dieses Gefühl nicht schon widerfahren? Wer wurde nicht schon von Cupidos grausamen Pfeil getroffen?
So der stolze Gott des Lichts und der Musik, der blondgelockte Apollon, der in ungezügelter Liebe zu der keuschen Nymphe Daphne entbrannte. Diese empfand jedoch nur Abscheu für die aufdringlichen Liebeswerbungen, da Cupido auf sie einen bleiernen statt einen goldenen Pfeil abschossen hatte. Cupido amüsierte sich über die zum Scheitern verurteilten Balzanstrengungen. Schließlich floh Daphne vor den Zudringlichkeiten durch den Wald, Apollon dicht auf ihren Fersen. Nach einer längeren Verfolgungsjagd holte er sie endlich ein. Aber siehe da, in dem Moment, in dem er seine Liebesbeute berührte, erhörte ihr Vater, der Flussgott Peneios, den verzweifelten Hilfeschrei und verwandelt die Nymphe in einen Lorbeerbaum. Apollon, der sich eben noch siegessicher glaubt, muss im nächsten Moment erkennen, dass er statt seiner Angebeteten nur ein Stück Holz in den Händen hält.
Bernini hatte bei der Umsetzung des bekanntes Mythos die Metamorphosen des Ovid vor Augen. „Nach und nach werden die weichen Brüste von Rinde umschlungen, die Haare werden zu Blättern und die Arme wachsen zu Zweigen empor. Auch Daphnes Füße erstrecken sich ins Erdreich und werden zu Wurzeln.“
Die schrittweise Verwandlung des anmutigen weiblichen Körpers in einen Lorbeerbaum enthüllt sich dem Betrachter beim Umschreiten der blendend weißen Skulptur. Der von ungebremster Leidenschaft getriebene Apollon packt Daphne im Lauf um die Taille. Es ist eine Geste des männlichen Triumphes und der Selbstverliebtheit. Apollon bleibt völlig ungerührt von der Abscheu und Furcht der Nymphe, ihrem lautlosen Schrei, den ihr geöffneter Mund andeutet. Sie hingegen ist gleichsam von Panik vor der Übermannung als auch vor der Metamorphose selbst erfasst. Aus ihren Zehen ranken sich plötzlich Wurzeln, ihren Beine werden langsam von einer Rinde umhüllt. Ihr spiralförmig gedrehter Körper gleicht einem biegsamen Stamm, der sich nach oben verästelt. Meisterhaft aus dem Marmor gemeißelt sind die hauchdünnen Blätter und zierlichen Zweige, die sich aus ihrem flatterndem langen Haar und ihren gespreizten Fingern ranken.
Daphne verweigert sich ihm bis zum Schluss: „Apoll berührt sie und fühlt noch ihr Herz schlagen. Er will sie küssen, aber sie weicht, nun als Baum, noch immer zurück“(Ovid). Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich als Trost einen Lorbeerzweig abzubrechen. Er windet ihn zum Kranz und setzt ihn sich als Zeichen seines Kummers über die nicht erwiderte Liebe auf das Haupt. Er wird sein Symbol, denn seitdem ist der Lorbeer der heilige Baum des Apollon.
Dass der Lorbeerkranz ursprünglich Symbol für gescheiterte Liebeswerbung war, mag heute in Vergessenheit geraten sein. Wir verbinden den Kranz mit der Bedeutung, den ihm später die Römer gaben, nämlich als Auszeichnung für Sieg, Frieden und andere Verdienste.
Das Auftraggeber der Marmorgruppe war Kardinal Scipione Borghese (1576-1633), der mächtige und kunstvisierte Neffe von Papst Paul V.. Er legte die berühmte Kunstsammlung und den Park der Villa Borghese an. Die Präsenz eines solch paganen Sujets im Hause eines Kardinals mutet zweifellos etwas seltsam. Scipiones Bewunderung für die Meisterschaft seines Lieblingskünstlers wird sicherlich über dem Respekt vor dem vom Klerus auferlegten Sittenkodex gestanden haben. Gewitzt wie Scipione nun einmal war, hat er allerdings möglichen Entrüstungen von Hausgästen vorweg gegriffen. Er ließ auf der Statuenbasis ein Distichon (Zweizeiler) eingravieren, das eine moralische Auslegung der Szene im christlichen Sinn liefert. Der Verfasser ist kein Geringerer als Maffeo Barberini, der Freund der Familie und spätere Papst Urban VIII.:
“Wer den flüchtigen Freuden nachzujagen beliebt, findet zuletzt in seinen Händen nur bittere Beeren”.
Dem weisen Ratschlag werden auch nach knapp vierhundert Jahren noch alle „wahren“ Liebespaare uneingeschränkt zustimmen.