Papst beschließt Seligsprechung von Anti-Mafia-Priester
(explizit.net) Sizilien.- Als letzten Freitag die Entscheidung Benedikts XVI. bekannt wurde, den von der Mafia ermordeten Priester Giuseppe Puglisi (1937-1993) selig zu sprechen, veranstaltete die kleine Gemeinde San Gaetano einen Freudentanz. Hier in dem berüchtigten Viertel Brancaccio am östlichen Stadtrand von Palermo wird Don Pino, so sein Spitzname, schon seit langem als Märtyrer und Held verehrt.
Genauer gesagt seit seinem gewaltsamen Tod am 15. September 1993. Es handelte sich um eine regelrechte Hinrichtung auf Befehl des Mafia-Clans Graviano, die gefürchteten Herren von Brancaccio. Man wählte seinen 56. Geburtstag und passte ihn abends vor seiner Haustür ab, als er aus der nahegelegenen Gemeindekirche heimkehrte. Vier Killer verstellten ihm den Weg, einer schoss ihm eine Kugel ins Genick. Der Mörder, Salvatore Grigoli, gestand später, dass er das Lächeln des Priesters im Todesmoment nie hätte vergessen können, noch seine letzten Worte: „Ich habe Euch erwartet.“
Mafia nutzt Kirche für gesellschaftliche Akzeptanz
Dem Attentat gingen jahrelange Bedrohungen voraus. Dennoch hatte Don Pino sich nie an den Rechtsstaat gewandt, hatte keinen Personenschutz beantragt. Er führte einen Kleinkrieg in dem Viertel, in dem er geboren wurde. Aus sehr bescheidenen Verhältnissen stammend, hatten ihn sein tiefer Glaube und Bildungshunger davor bewahrt, selbst in die Fänge der kriminellen Familien vor Ort zu geraten. Seine Gegner, ein mächtiger Clan der Cosa Nostra, waren ihm von Kindesbeinen an vertraut. Die Familie Graviano hatten in den 90ziger Jahren die gesamte Kontrolle über Baugeschäfte, Kommerz und Drogen- und Waffenhandel in Brancaccio an sich gerissen. Die Brüder Giuseppe und Filippo ließen sich regelmäßig zu den Sonntagsmessen in der Kirche San Gaetano blicken. Eigenheit aller süditalienischen kriminellen Organisationen ist die tiefe Verwurzelung in archaischen Traditionen. Die gesellschaftliche Akzeptanz ihre Clans im eigenen Territorium fordert eine besondere Hingabe zu allem Religiösen. Regelmäßiger Kirchengang und Teilnahme an religiösen Festen sowie großzügige Kirchenspenden sind Demonstration ihrer zur Schau gestellten Gottesfurcht. Dass ihr kriminelles Handeln im grotesken Widerspruch zum Evangelium steht, scheint von ihnen selbst nicht wahrgenommen zu werden. Auf dem Nachttisch von flüchtigen Mafiosi hat man Bibeln und Heiligenbildchen gefunden. Und Augenzeugenberichten zufolge würden sie sich bekreuzigen, bevor sie einen Mord begehen. Der Soziologe und Theologe Augusto Cavadi spricht von einer spezifischen zurechtgezimmerten Philosophie und Theologie der Mafia, von einer Instrumentalisierung der Religion. Seit jeher hätten sie sich Sprache, Symbole und Traditionen des Katholizismus angeeignet, um ihre strenge Hierarchie und ihren Verhaltenskodex zu rechtfertigen, vor sich selbst, aber vor allem in ihrem sozialen Umfeld, aus dem sie stammen und deren Anerkennung sie suchen.
Don Pinos Kampf für eine bessere Zukunft in Brancaccio
Don Pino nahm angesichts dieser Tatsachen kein Blatt vor den Mund. Er hatte den Mut, Mitglieder des Clans und sympathisierende Politikern während der Messen offen anzusprechen und als Sünder zu bezeichnen, ihre Taten anzukreiden. Er sprach nicht nur von schweren Gewaltverbrechen und Illegalität, sondern prangerte die falsche Moral und Wertvorstellung an, die diese unter der Jugend des Viertels predigten, in dem seit jeher Arbeitslosigkeit und Armut grassieren. Heranwachsende würden über kleine Wach- und Botendienste ins Drogengeschäft gezogen und schließlich, wenn nicht selbst Opfer der ständigen Fehden, zu Killern werden. Die Mädchen hingegen würden durch den erzwungenen Familientreueeid zu passiven Mittätern ihrer Brüder, Väter und Ehemänner.
Gemeindezentrum Padre Nostro als Alternative zur Straße
Aus Erfahrung wusste der engagierte Priester, dass eine innere Umkehr bei erwachsenen Mafiosi fast unmöglich war. Aber er war überzeugt, dass man über die Kindergeneration eine Gesellschaft umerziehen könnte. Er steckte daher all seine Energie in die Erziehung der Jugendlichen zu Legalität und demokratischem Rechtsbewusstsein. Er lehrte sie Ehrlichkeit, Selbstachtung und die Bedeutung von Nächstenliebe und wahrer Gottesfurcht. Unermüdlich erläuterte er anhand der Evangelien christliche Ethik als Leitfaden richtigen Handelns. Und das ein reines Gewissen mehr Wert sei als Ansehen der „ehrenwerten Gesellschaft“ und eventuelle Reichtümer oder berufliche Vorteile. Besonders schwierig war es, den von der Mafiakultur geprägten Respektsbegriff bei den Heranwachsenden aufzubrechen. Denn als „rispettabile“ im Viertel gilt allgemein derjenige, der es schafft, die Spitze der Hierarchie des Clans zu erklimmen.
Dennoch ist es Don Pino gelungen, viele Jugendliche von der Straße wegzuholen und auf den rechten Weg zu bringen. Er hatte im Laufe der Jahre eine große Anhängerschaft im Viertel um sich geschart. Größter Stolz war das vom ihm gegründete Jugendzentrum Padre Nostro, das zur kulturellen Enklave im Viertel wurde. Dort wird unterrichtet, gespielt und betreut. Sein wachsender Einfluss war dem Clan ein Dorn im Auge. Hinzu genoss Don Pino die Unterstützung des damaligen Erzbischofs von Palermo, Kardinal Salvatore Pappalardo, der selbst für seinen Einsatz gegen die Mafia bekannt wurde.
Die Rache der Mafia 1993
Die Entscheidung, den respektlosen Geistlichen zu eliminieren und damit auf die gesamte Kirche einen Warnschuss abzufeuern, fällte Cosa Nostra wohl nach der Pastoralreise von Johannes Paul II. in Sizilien. Erstmals in der Geschichte sprach ein Papst offen einen Bannfluch gegen Mafiosi aus. Am 9. Mai 1993 überraschte das Kirchenoberhaupt mit einem Appell an Tausende von Gläubigen in Agrigent zum Abschluss einer Messe: „Gott hat gesagt: Du sollst nicht töten. Kein Mensch, keine Menschenvereinigung, keine Mafia kann dieses hochheilige Gesetz Gottes ändern und mit den Füßen treten. […] Im Namen Christi […] wende ich mich an die Verantwortlichen: Kehret um! Eines Tages wird Euch das Jüngste Gericht Gottes einholen!“
Für Cosa Nostra war die Aufforderung des Papstes zur Umkehr und Buße eine Kriegserklärung. Die Antwort kam unmittelbar. Nur zwei Wochen später begann eine Serie von Bomben-Attentaten, die das ganze Land in Angst und Schrecken versetzte. Zunächst wurden die Antimafia-Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino mit Sprengsätzen getötet, dann detonierten Bomben vor Museen (Uffizien), Theatern und schließlich vor bedeutenden Kirchenbauten in Rom. Großer Sachschaden entstand an der Fassade des Lateran, exterritorialer Besitz des Vatikans, und an der von San Giorgio in Velabro. Die Adressaten dieser Einschüchterungsserie waren klar: Der Staat und die Kirche. Die Mafia begnügte sich aber nicht mit der Zerstörung von Kirchengütern. Wie zu Untermauerung ihrer Kriegserklärung an die Kirche als Institution folgte Mitte September die Ermordung von Padre Pino.
Kirche mobilisiert sich gegen Mafia
Diese Freveltat hat die Gemüter in Italien erschreckt und aufgerüttelt, sowohl in der Zivilgesellschaft als auch unter den Kirchenmännern Siziliens. Sie hat dazu geführt, dass beide Seiten stärker Position gegen das übermächtige organisierte Verbrechen beziehen. Bereits Ende 1991 hatte die italienische Bischofskonferenz die „Erziehung zur Legalität und Aufhebung der ungerechten Bindung von Politik und Geschäft“ gefordert. Nach jahrzehntelangem Schweigen der Kirchenführung, stellte diese Forderung eine Wende dar. Es ist der Vorabend von „Mani Pulite“, das Aufbegehren des Rechtsstaates gegen die in der politischen Führungsschicht verbreiteten Korruption, aber auch gegen die historische Verquickung von Politik und Cosa Nostra.
Nach der Ermordung des Priesters veröffentlichte die sizilianische Bischofskonferenz eine Stellungnahme. In ihrem Hirtenbrief vom Mai 1994 „Neue Seelsorge und Evangelisation“ wird die absolute Unvereinbarkeit der Mafia mit dem Evangelium betont. Einem Christen sei es nicht gestattet, sich um Hilfe oder der Vorteile wegen an die Mafia zu wenden. Damit wird auf die Funktionen der Clans als Arbeitgeber und soziale Wohltäter durch Bereitstellung von Wohnungen und Dienstleistungen angespielt, in einem Teil Italiens, wo es kaum Arbeit gibt und die staatliche Versorgung unzuverlässig ist. Im Gegenzug erheben die Bischöfe die Seelsorge, so wie sie Don Pino praktizierte, zum Modell für Priestern und Laien. Don Pino sagte einmal von sich selbst: „Ich bin kein Theologe, ich bin einer, der für das Reich Gottes zu arbeiten versucht.“
Neue Mafia-Generation setzt Machtkampf fort
Heute sitzen die damaligen Bosse und Killer der Cosa Nostra alle hinter Gittern. An ihre Stelle rückte eine neue Generation von Kriminellen, die in die internationale Hochfinanz vorgedrungen ist und subtilere Methoden anwendet. Die Einschüchterungsversuche gegen diejenigen, die sie bekämpfen oder ihnen Respekt verweigern, sind jedoch dieselben geblieben. Wie schwierig und gefährlich die Pastoralarbeit der Priester in Sizilien ist, zeigen die zwei jüngste Anschläge. Erst gestern wurde eine große Gasflasche vor dem Jugendzentrum von Don Pino evakuiert. Und Anfang der Woche hat der Casalesi-Clan die Erntefelder der Landwirtschaftsgenossenschaft Terre di Don Diana bei Caserta abgefackelt. Es handelt sich um konfiszierte Ländereien der Camorra, die der von Don Ciotti gegründeten Organisation Libera zur Nutzung überlassen wurden. Aber es gibt auch eine Nachricht, die Mut macht: Der Erzbischof von Agrigent, Francesco Montenegro, hat vorgestern die Totenmesse für einen Mann verboten, der von der Polizei verdächtigt wird, führendes Mitglied der örtlichen cosche gewesen zu sein.
Erstmalige Anerkennung eines Mafia-Opfers als Märtyrer
Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse erhält die Seligsprechung von Pino Puglisi ein besonderes Gewicht. Benedikt XVI hat sich bei seinem Besuch in Palermo im Herbst 2010 die Geschichte des außergewöhnlichen Priesters noch einmal erzählen lassen. Das Seligsprechungsverfahren war 1999 auf Betreiben von Kardinal Salvatore Pappalardo bei der päpstlichen Kongregation eingeleitet worden und wartete nun auf den abschließenden Entscheid des Papstes. Für das Verfahren waren keine Beweise eventueller Wundertätigkeit nötig. Vielmehr ging es um die Frage, ob der Pater „in odium fidei“, das heißt aus Hass auf seinen Glauben gestorben sei.
Der andere Anti-Mafia-Priester Don Ciotti
Die jetzt erfolgte Anerkennung des ermordeten Anti-Mafia-Priester als Märtyrer ist nicht nur ein großer Triumph für seine Anhänger, die unter großer Kraftanstrengung versuchen, sein Jugendzentrum und seine Lehre am Leben zu erhalten. Sie wird den Hinterbliebenen der zahlreichen Mafia-Opfern Trost spenden und den Widerstand gegen die organisierte Kriminalität unter Klerus und Bevölkerung stärken. Don Ciotti sprach von dieser Hoffnung in einem Interview mit Radio Vatikan. Er, der mit seinen 1500 landesweit tätigen Vereinen und Kooperativen seit 15 Jahren versucht, die Mafia-Kultur anzugehen und der Jugend eine sinnvolle Alternative aufzuzeigen, ist heute sicherlich der populärste Anti-Mafia-Priester in Italien. Er gedenkt daher der vielen unbekannten mutigen Priestern, die fernab des Rampenlichts ihren Kampf führen: „Dieses Priestermodell, das die Mafia in die Sakristei zurück scheuchen wollte, wird heute offiziell von der Kirche als höchste Treue zum Evangelium anerkannt… Mit seinem Zeugnis spornt uns Don Pino an, diejenigen zu unterstützen, die dieselbe Realität mit Einsatz und in aller Stille leben.“
Palermo jubelt über die Seligsprechung
Derweil jubelt Palermo. Überall wurden Transparente mit Fotos des Märtyrers aufgestellt. Am Tag der Verkündigung des Dekrets ließ Don Maurizio Francoforte, Nachfolger von Pino Puglisi, die Festglocken in San Gaetano läuten. Er wollte seine Gläubigen zusammentrommeln, um ihnen persönlich die frohe Botschaft zu verkündigen. „Von diesem Tag haben wir seit Don Pinos Tod geträumt“, gestand Kardinal Paolo Romeo, Erzbischof von Palermo, bei einer anschließenden Pressekonferenz im Bischofspalast. „Wir wissen noch nicht genau wann die Seligsprechungsfeier stattfinden wird, aber auf jeden Fall in Palermo.“