Fragwürdiger Tapetenwechsel

Italienische Kirche kritisch gegenüber dem neuen Premier Matteo Renzi

Die italienische Kirche teilt nicht die allgemeine Begeisterung für den neuen politischen Hoffnungsträger Matteo Renzi, der gestern vom Staatspräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt wurde. Kritische Töne erklingen aus dem Munde des L‘Avvenire, der einflussreichen Tageszeitung der italienischen Bischofskonferenz. Es ist vor allem die Art der Machtergreifung Renzis, die zu denken gäbe und auch seine ehrgeizigen Vorhaben in ein anderes Licht rücke. Er habe das Versprechen, auch nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden im Dezember dem Parteifreund und Ministerpräsidenten Enrico Letta die Stange zu halten, gebrochen. Renzi hat hingegen Letta schon nach wenigen Wochen aus dem Amt gedrängt.

Enrico Letta und Matteo Renzi  Foto:melty.it
Enrico Letta und Matteo Renzi Foto:melty.it

„Renzi sollte sich im Klaren sein, dass sein Bruch mit dem derzeitigen Rahmen der Politik, wie er sich aus der Parlamentswahl vor einem Jahr ergab, und mit dem Koalitionsgleichgewicht, das Letta 2013 geschickt hergestellt hatte, wie eine Fortsetzung der früheren „Palastpolitik“ mit anderen Mitteln wirkt,“ warnt Chefredakteur Marco Tarquinio.

Es war bekannt, dass die italienischen Bischöfe den besonnenen, bescheiden auftretenden Letta vorzogen. Dieser hatte Italien letzten Mai aus dem katastrophalen politischen Patt geführt. Es gelang ihm, mit der damaligen konservativen, fast gleich starken Partei Berlusconis eine schwarz-rote Koalition zu bilden. Jedoch wichen anfängliche Lobeshymnen immer mehr dem Vorwurf, das angekündigte Reformprogramm nicht entschlossen und schnell genug durchzusetzen. Es war seine eigene Partei, die Letta in einer Abstimmung letzte Woche die Gefolgschaft kündigte, eine Initiative, die von Renzi forciert wurde.

Der erst 39jährige Renzi ist nicht nur der jüngste Premier in der italienischen Geschichte, sondern auch der dritte, der ohne Parlamentswahlen an die Macht gekommen ist, dazu in einem Zeitraum von nur 15 Monaten. Allerdings wurden seine Vorgänger Mario Monti und Enrico Letta von dem weisen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano bestimmt, während Renzi mithilfe der Parteimehrheit seine Krönung durchsetzte. Napolitano hätte zweifellos die Kontinuität der Regierung vorgezogen, um nicht die Finanzmärkte zu verunsichern. Die historische Instabilität der Regierungen, die Uneinigkeit der politischen Führung, sind ein gravierendes Problem in Italien. Der Druck durch die sich verschlechternden wirtschaftliche Situation hat die Streitbarkeit sogar noch vergrößert anstatt sie zu verringern.

Der mit einer Portion frischem Optimismus und auch Populismus gewappnete Renzi hat nun radikale strukturelle Reformen im Monatstakt angekündigt: „jeden Monat eine Reform“, lautet sein Slogan. Er verspricht neben der nötigen Wahlgesetzänderung, Steuererleichterung für Arbeitnehmer und Betriebe und Abbau des teuren Staatsapparats. Vor allem will er Flexibilität beim Stabilitätspakt in Brüssel verhandeln, denn ohne Neuverschuldung wird er seine Reformen nur schwer durchsetzen können. Aber eine solche Hypothese hat EU-Kommissar Rehn sofort abgebremst und die Italiener vielmehr aufgefordert, weiterhin den Abbau der hohen Staatsschulden im Auge zu behalten. Das Problem ist jedoch, dass ohne Wirtschaftswachstum auch die Staatsschulden nicht abgebaut werden können.

Neben der Bischofszeitung äußerte sich auch die Vatikanzeitung „L´Osservatore Romano“ skeptisch zu dem „Verschrotter alter Machtstrukturen“, wie sich Renzi selbstbewusst bezeichnet. Sie spricht sogar von einer Art „Erbsünde“, mit der die Regierung Renzi durch die unlautere Art seiner Machtergreifung behaftet sei. Der künftige Premier, bisher Bürgermeister von Florenz und ohne Parlamentserfahrung, spiele mit höchstem Einsatz, und damit stehe und fiele zu einem guten Teil auch die nähere Zukunft Italiens. Renzi solle Struktur- und institutionelle Reformen anpacken, sonst „hat sich der Wechsel im Palazzo Chigi nicht gelohnt. Die Frage ist jedoch, ob Renzi zu einem Programm mit so ehrgeizigen Zielen auch wirklich in der Lage ist.“