Solidarität mit Don Ciotti nach Morddrohungen durch Mafia-Boss
Don Ciotti ist eine Art Nationalheld in Italien. Er ist das gute Gesicht des doppelköpfigen Janus einer widersprüchlichen Gesellschaft, die bis heute ihre archaischen Verbrecherorganisationen noch nicht besiegt hat. Der neunundsechzigjährige Priester aus Turin kämpft seit zwei Jahrzehnten gegen das organisierte Verbrechen und gegen die Kultur der Illegalität.
Ciottis wichtigste Waffe ist die Umwandlung von konfiszierten Ländereien und Immobilien der Mafia in legale Strukturen. Damit wird der Jugend nicht nur Arbeit gegeben, sondern sie wird auch zu Demokratie und Legalität erzogen. Ziel ist, den lokalen Mafiafamilien förmlich den Nährboden einer hörigen Klientel zu entziehen. Bereits Hunderte von beschlagnahmten Äckern und Gutshöfen, Villen und Betrieben wurden mithilfe seines landesweit tätigen Vereins „Libera“ einer neuen karitativen, kulturellen oder kommerziellen Bestimmung zugeführt.
Als bekannt wurde, dass der ehemalige Mafia-Boss Salvatore Riina ein „Anathem“ gegen den Priester ausgesprochen hat, stand fast die halbe Nation auf. Riina, von 1982 bis zu seiner Verhaftung 1993 gefürchtetes Oberhaupt der sizilianischen Cosa Nostra, hat den Bannfluch letzten September vom Gefängnis aus getätigt. Das Gespräch mit einem anderen Mafiainsassen wurde von der Staatsanwaltschaft aufgezeichnet und gelangte erst ein knappes Jahr später in die Hände der römischen Tageszeitung La Repubblica, die es vergangenen Sonntag veröffentlichte. „Ciotti, den können wir ruhig umbringen“, sagte darin Riina in sizilianischen Dialekt. Töten solle man den Priester, genau wie einst Don Pino Puglisi, der 1993 an seinem 56. Geburtstag in Palermo erschossen wurde.
Die Ermittler ordneten unverzüglich gesonderte Sicherheitsmaßnahmen für Don Ciotti an, dem zwei Polizisten als Eskorte gegeben wurden. Dennoch ist es symptomatisch, dass sie den Priester selbst nicht über die drohende Gefahr informierten. “Wir wussten nichts, hatten allerdings seit mehreren Monaten beunruhigende, schwer zu deutende Signale erhalten“, offenbarte eine Mitarbeiterin von „Libera“. Offenbar wollten die Ermittler Panik vermeiden und den Einfluss Riinas in der Mafia nicht unnötig wiederaufleben lassen, indem sie den Mordaufruf auch noch verbreiten. Der alte Boss, berüchtigt für seine grausamen Morde, wird nie wieder die Freiheit sehen. Er wurde zehnmal zu lebenslanger Haft verurteilt. Dennoch sickeren aus dem Gefängnis immer mal wieder Drohungen an Richter oder Kommentare über Politiker. Riina hat anders als viele seiner Verbrecherkumpanen nie ausgepackt und von der Kronzeugenregelung Gebrauch gemacht. Die Staatsanwaltschaft würde gerne von ihm über die frühere Verstrickung von Politikern mit der sizilianischen Mafia erfahren.
Don Ciotti selbst reagierte gelassen auf den versteckten Mordaufruf. Ihn interessiert vor allem, welche Konsequenzen diese haben: „Die Politik muss unsere Arbeit besser unterstützen. Die Mafia ist nicht nur ein kriminelles Element, sie ist das Produkt des Mangels an Demokratie und an sozialer Gerechtigkeit.“ Die Konfiszierung von Mafia-Eigentum müsse vorangetrieben werden, denn sie ist “ein doppelter Affront für die Mafia, das bestätigen die Worte von Riina“. In der Tat ist die „Purifikation“ der durch Drogenhandel und andere illegale Geschäfte angehäuften Besitztümer der Mafia genau ihr wunder Punkt. Dass jemand wagen würde, ihre Güter anzutasten oder in ihr Territorium einzugreifen. Die Mafiafamilien in Süditalien verstehen sich als eigene archaische Staatsautorität, deren sich die Bürger zu unterwerfen haben. Dafür zeigen sie sich wohltätig, vergeben Arbeit und leisten soziale Dienste.
Ciottis Aufforderung nach mehr Unterstützung durch die Politik spielt gezielt auf die Hürden der Bürokratie und lange Wartezeiten bei der Umwidmung der konfiszierten Güter an. Seit 1996 gestattet ein spezielles Gesetz die Nutzung von illegal erworbenen Gütern, doch manchmal verstreichen über zehn Jahre bis diese dann einer Kooperative oder Pfarrgemeinde für 30 Jahre übertragen werden. Es gibt landesweit mehr als 13.000 beschlagnahmte Immobilien, allein 5500 davon befinden sich in Sizilien, die auf ihre neue Bestimmung als Agrarland für biologischen Anbau, Spielplatz, Kulturzentrum, Werkstatt und dergleichen warten.
Don Ciotti hat in seinem eisernen Kampf gegen die Mafia heute die Kirche hinter sich. Papst Franziskus hält engen Kontakt zu dem Geistlichen, den er regelmäßig empfängt. Seine Erklärung der Exkommunizierung von Mafiosi im vergangenen Juni in Kalabrien, der Heimstätte heute mächtigsten kriminellen Organisation ‘Ndrangheta, ging durch die Weltpresse. Wenn auch dieser definitive und radikale Ausschluss als bisher wichtigster Schritt gilt, ist die Verurteilung der Mafia durch die Kirchenführung nicht neu: Ende 1991 hatte die italienische Bischofskonferenz die „Erziehung zur Legalität und Aufhebung der ungerechten Bindung von Politik und Geschäft“ gefordert und 1994 erklärten Bischöfe Siziliens, „die Mafia gehöre ohne Ausnahme zum Reich der Sünde und ihre Mitglieder stünden außerhalb der Gemeinschaft“. Das Jahr zuvor hatte Johannes Paul II. auf seiner Pastoralreise in Sizilien erstmals die Mafiosi zur Umkehr und Buße aufgefordert.
Die gesellschaftliche Akzeptanz der Clans im eigenen Territorium fordert eine besondere Hingabe zu allem Religiösen. Regelmäßiger Kirchengang und Teilnahme an religiösen Festen sowie großzügige Kirchenspenden sind Demonstration ihrer zur Schau gestellten vermeintlichen Gottesfurcht. Seit jeher haben sich die Mafiosi Sprache, Symbole und Traditionen des Katholizismus angeeignet, um ihre strenge Hierarchie und ihren Verhaltenskodex zu rechtfertigen, vor sich selbst, aber vor allem in ihrem sozialen Umfeld, aus dem sie stammen und deren Anerkennung sie suchen. Gleichzeitig dulden sie nicht, dass ihnen Kirchenleute ins Handwerk pfuschen oder sie öffentlich kritisieren. So scheuten sie in den Neunzigerjahren nicht vor der Ermordung des populären Palermitaner Don Giuseppe Puglisi, der letztes Jahr selig gesprochen wurde, und auch des weniger bekannten Neapolitaners Don Giuseppe Diana zurück, den die Camorra hinrichteten.
Wichtig sind daher die öffentlichen Solidaritätsbekundungen der kirchlichen und staatlichen Institutionen gegenüber Don Ciottis, die ihn zu einem „Unantastbaren“ machen könnten. Diejenigen von der italienischen Bischofskonferenz trafen als erste ein und bekräftigten noch einmal die Worte von Papst Franziskus anlässlich des Gedenktages für die Opfer der Mafia am 21. März: „Es ist eine Kirche, die interferiert!“ Dass dem mutigen Kirchenmann im Kampf gegen das organisierte Verbrechen auch der Staat zu Seite steht, zeigte schließlich der Solidaritätsanruf von Staatspräsident Giorgio Napolitano und die Twitter-Botschaft von Senatspräsidenten Pietro Grasso, dem ehemaligen Leiter der Nationalen Antimafia-Staatsanwaltschaft.