Schmutzige Geschäfte

Italien: Die Hauptstadtmafia oder wie man mit Bedürftigen Geld macht

Die Römer sind indigniert. Ein Gefühl der Ratlosigkeit und Ohnmacht hat sich breit gemacht, seitdem sie vor zwei Wochen erfahren haben, dass auch ihre Stadt von der Mafia regiert wird. Die zweijährigen Ermittlungen von Chef-Staatsanwalt Giuseppe Pignatone ergeben ein erschreckendes Bild: Rom sei von einem lokalen Kartell rechtsextremer Prägung beherrscht, das sich mithilfe von Schmiergeldern öffentliche Aufträge sichert. Dieser jüngste Skandal der italienischen Politik, „Mafia capitale“ getauft, ging durch die gesamte Weltpresse. Er hat nicht nur die elegante Urbs in ein finsteres Licht gerückt, sondern dem Ansehen des krisengeschüttelten Land einen weiteren Schlag versetzt.

Im Gegensatz zur sizilianischen Cosa Nostra verzichtet die hiesige Organisation auf ein auffälliges Erscheinungsbild, auf die üblichen Klischees wie Heiligenbildchen, Ritualmorde. Sie sind gut getarnt. Ihr Markenzeichen sind „Nadelstreifenanzüge“ und beste Beziehungen zu den Schaltstellen der Hauptstadt: rechte und linke Parteifunktionäre, Unternehmer und Polizeibeamte, die mit teils hohen Summen bestochen wurden. Aus der Kasse der Stadt und der Region sind Millionen von Euro in die Hände dieser lokalen, kriminellen Organisation geflossen.

 

Seit Anfang Dezember wurden rund fünfzig Personen festgenommen, Güter und Konten im Wert beschlagnahmt und gegen über hundert Verdächtige Ermittlungsverfahren eingeleitet. Fast täglich kommen neue Enthüllungen hinzu. Die Tentakel der Bande scheinen über die Stadtgrenzen bis hin zur gefürchteten kalabrischen Drogenmafia zu reichen. Schlüsselfigur unter den verdächtigten Politikern ist der neofaschistischen Kreisen nahestehende ehemalige Bürgermeister Gianni Alemanno. Während seiner Amtszeit (2008-2013) hatten sich die Aufträge der Organisation auffällig vermehrt.

 

Dass im reichen öffentlichen Bausektor Bestechungsgelder bezahlt werden, überrascht hier niemanden wirklich. Nun hat sich aber die römische Mafia in einem Sektor bedient, in dem angeblich wenig Gelder fließen und dessen Effizienz einen miserablen Ruf genießt: im Sozialbereich und in der Müllbeseitigung.

 

Das mächtige römische Konsortium von Salvatore Buzzi, rechte Hand des Bandenchefs Massimo Carminati, hat vor allem mit Obdachlosenasylen, Mensen und der Unterbringung von Flüchtlingen verdient. Lukrativ waren auch die Pflege der Grünanlagen und die Stadtreinigung nach Unwettern oder Großveranstaltungen, die hier an der Tagesordnung sind. Während die Kommune das Budget für Dienstleistungen stetig kürzte – Rom stand im vergangenen Februar kurz vor der Pleite und musste durch Staatshilfe gerettet werden – so wurde der Fond für „Notstände“ vergrößert. Unter dem Vorwand der „Dringlichkeit“ wurden viele Aufträge ohne vorherigen Ausschreibung und Kontrolle der tatsächlich erbrachten Leistungen vergeben. Und hier hat sich Buzzi mit seinen Sozial-Kooperativen ein Monopol geschaffen. Dabei ging er geschickt vor. Durch den Umstand, dass er vor allem soziale Außenseiter anstellte, ehemalige Gefängnisinsassen und Drogenabhängige, hatte er auch in linken Kreisen Fürsprecher gewonnen.

 

Die Wut der Bürger ist verständlich. Die Straßen der Stadt waren noch nie so schmutzig wie in den letzten Jahren, die Zigeunercamps am Stadtrand sind Elendsquartiere und die Zustände in den Auffanglagern für Flüchtlinge berüchtigt. Zur Wut der Römer gesellt sich eine gewisse Scham gegenüber den Hilfebedürftigen, wie Andrea Riccardi in der katholischen Tageszeitung L’Avvenire schrieb. Der ehemalige Integrationsminister und Gründer von Sant’Egidio kennt die soziale Not in der Hauptstadt und den Umgang der Politiker damit. Seine Laiengemeinschaft kümmert sich seit 45 Jahren um die Obdachlosen in Rom. Die katholische Kirche darf als wichtiger Pilaster unter den karitativen Einrichtungen in Italien gelten. Ihre Arbeit basiert häufig auf ehrenamtliche, unentgeltliche Tätigkeit.

 

Pater Giovanni La Manna hingegen wundert sich nicht so sehr über den Skandal. Der früherer Präsident des jesuitischen Flüchtlingszentrums Centro Astalli, dem Papst Franziskus kürzlich einen Besuch abstattete, hatte in den letzten zehn Jahren mehrmals bei den Behörden auf „Anomalien in manchen von der Kommune betriebenen Auffanglagern hingewiesen“. Ohne auf Gehör zu stoßen. „An uns wurden immer Asylanten von den anderen Zentren öffentlicher Trägerschaft verwiesen, wenn sie ärztliche Assistenz, Rechtsberatung, Sprachkurse oder auch Windeln, Kindernahrung, Medikamente und Bustickets benötigten. Das kam uns komisch vor, denn das sind Leistungen, die in dem kalkulierten Tagessatz pro Person mit inbegriffen sind“, offenbarte der Pater in einem Interview mit L’Avvenire.

 

Als 2007 das große Flüchtlingszentrum Enea vor den Toren Roms eröffnet wurde, bezahlten die Kommune und das Innenministerium zusammen ursprünglich mehr als 70 Euro pro Kopf und Tag. Der Betrag für unbegleitete Minderjährige ist sogar noch höher (70-90 Euro). Hier ist Gefahr einer Veruntreuung besonders groß.

„Wir kommen mit weniger als der Hälfte der Summe aus, um unsere Immigranten mit den essentiellen Dingen zu versorgen“, fährt der Pater fort. „Wir kaufen selbst für die tägliche Zubereitung der 400 Mahlzeiten unserer Mensa ein, um Qualität zu gewährleisten.“ Zum Centro Astalli gehören neben der Großmensa, eine Arztpraxis, eine Sprachschule und vier Wohnheime. „Wichtig sind nicht nur Bett und Logis, sondern auch die psychologische und ärztliche Betreuung. Viele Flüchtlinge sind traumatisiert und müssen behandelt werden.“ Offenbar wurde in den kommunalen und staatlichen Zentren vor allem an diesen Leistungen gespart.

 

Verdient wurde wohl insbesondere über die Aufblähung der bestehenden Aufnahmezentren. Die außergewöhnlich starke Flüchtlingswelle in diesem Jahr schien Überbelegungen bei gleichzeitiger Vernachlässigung von Kontrollen zu rechtfertigen. Im Centro Enea wurden die Plätze fast verdreifacht, von 400 auf 1050. Alle zur Verfügung stehenden Strukturen wurden bis auf ein Maximum ausgeschöpft, neue Lager und Zentren sind in Planung. Pater La Manna ist der Meinung, dass nur mit kleinen Heimen mit maximal 50 Plätzen ordentliche Versorgungs- und Integrationsarbeit geleistet werden kann. Buzzi, der Chef des angeklagten kriminellen Konsortiums, prahlt in einem aufgezeichneten Gespräch, dass das Geschäft mit den Flüchtlingen einträglicher sei als das mit Drogen!

 

Abgesehen von den Betrügereien und dem daraus entstandenen finanziellen und moralischen Schaden, bleibt ein anderes Problem im Raum. Alle Aufnahmezentren und Wohnheime befinden sich in sozial schwachen Vierteln, entweder am Stadtrand oder isoliert in ländlichen Gebieten. Auch in Deutschland wird gerade darüber diskutiert, wie wichtig die zentrale Lage der Zentren für die spätere Integration der Immigranten in der Gastgesellschaft ist, und zwar für beide Seiten. Die negativen Folgen einer gegenteiligen Politik, wie sie bisher in Italien praktiziert wird, wurde jüngst anhand einer Episode sichtbar: Vor wenigen Wochen kam es in der verwahrlosten römischen Peripherie von Tor Sapienza zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Anwohnern und afrikanischen Asylanten. Wie sich jetzt herausstellte, wurde die Revolte politisch gesteuert, um eine weitere Segregation von Ausländern voranzutreiben und die Schaffung von neuen Wohnheimen und Camps dringlich zu machen.