Satiremagazin „Charlie Hebdo“ sucht Versöhnung mit Muslimen
Mit einer überraschenden Versöhnungsbotschaft erschien am heutigen Mittwoch das religionskritische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ erstmals wieder nach dem blutigen Anschlag auf die Redaktion. Vor genau einer Woche wurde dabei ein Großteil der Redakteure und Zeichner von zwei franko-algerischen Islamisten getötet.
Die Journalisten sind wegen ihrer Mohammed-Karikaturen ins Visier von Extremisten geraten, die den islamistischen Terrororganisationen IS und al-Qaida nahe stehen. Aus diesem Grund war das Neuerscheinen des Magazins mit gemischten Gefühlen von Seiten der Öffentlichkeit erwartet worden. Denn trotz allgemeiner Solidaritätserklärungen mit den Opfern und der Ablehnung einer Einschüchterung der Pressefreiheit, werden die Karikaturen auch von der westlichen Presse kontrovers beurteilt. Die Befürchtungen gingen nun von einer erneuten (unnötigen) Islam-Provokation bis zur Eigenzensur und damit Aufgabe der freien Satire, die als Errungenschaft der pluralistischen westlichen Demokratien betrachtet wird.
Keine der Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Hingegen fand das Titelbild Lob von beiden Meinungsparteien. Es zeigt einen weinenden Propheten, der ein „Je suis Charlie“-Schild trägt. Mit der Überschrift „Tout est pardonné“ – Alles ist vergeben – nimmt man den Terroristen und ihren Sympathisanten jeglichen Wind aus den Segeln. Gleichzeitig weigert sich die Zeitung, zu ihrem polarisierten Kulturkrieg beizutragen. Mohammeds Tränen bekunden, dass ihn in seinem Namen verübten Morde traurig stimmen. Für „Charlie Hebdo“ ist der wahre Islam brüderlich und auf Gleichheit ausgerichtet, befreit vom kriegerischen Erbe oder einer rein gewaltbefürwortenden Auslegung des Korans. Das Titelbild ist zweifellos eine Hommage an den moderaten Muslim, der trotz aufgepeitschter Stimmung immer noch die Mehrheit in Frankreich und Europa ausmacht. Auch huldigt man indirekt den zwei muslimischen Opfern des Terroranschlags: der Polizist, der vor der Redaktion kaltblütig erschossen wurde, und der Lagerarbeiter des jüdischen Supermarktes, in dem die Geiselnahme stattfand.
In Frankreich erschien die Ausgabe bereits gestern, während eine übersetzte Version seit heute in den europäischen Nachbarländern zum Verkauf ausliegt. Die Zeitungskioske meldeten schon in den frühen Morgenstunden den totalen Ausverkauf des Satiremagazins und damit den durchschlagenden Erfolg. Der Erlös dieser einmaligen 3-Millionen-Auflage soll den Familien der acht Opfer zugute kommen.
Das bisher blutigste Attentat in der jüngeren Geschichte Frankreichs hat eine heftige europaweite Debatte nicht nur über den Islam ausgelöst, sondern auch über Form und Grenzen von Religionskritik in der modernen Gesellschaft. Sie beschäftigt sich mit der Frage, ob und wo die Grenzen zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung von Religionen oder ihrer Anhänger zu ziehen sind. Muslime lehnen Abbildungen von ihrem Propheten grundlegend ab, obwohl es in der mittelalterlichen Kunst vereinzelnd Darstellungen von Mohammed gibt. Allein die Tatsache, dass der Prophet Gegenstand einer Vignette ist, wird von den islamischen Gläubigen als schwerer Frevel aufgefasst. Die Satiriker von „Charlie Hebdo“ – in Frankreich hat die Satire eine eigene Schärfe und Tradition – beanspruchen eine totale künstlerische Freiheit. Der beißende Spott ihrer häufig mit sexuellen Anspielungen befrachteten Karikaturen machte vor Nichts und Niemanden halt. Papst, christlicher Klerus, Juden wie Muslime wurden gleichsam durch den Kakao gezogen. Eine ähnliche Diskussion fand 2012 um das deutsche Satireblatt Titanic statt, das Papst Benedikt XVI. zurzeit der Missbrauchsskandale und Vatileaks auf der Titelseite in einem Foto mit pädophilen Anspielungen darstellte. Der Vatikan forderte damals nur eine Unterlassungserklärung. Es kam zu keiner Anzeige.
In Deutschland schützt der Paragraf 166 des Strafgesetzbuches vor Gotteslästerung. Die Beschimpfung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses ist allerdings nur dann strafbar, „wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Vor dem Hintergrund der jüngsten Anschläge wurde die politische Debatte um Abschaffung des sogenannten Blasphemie-Paragrafen wieder entfacht. So hat der Grünen-Innenexperte Volker Beck letzte Woche die Abschaffung des Gesetzes gefordert mit der Begründung, dass „Gläubige grundsätzlich keinen anderen strafrechtlichen Schutz benötigen als andere soziale Gruppen wie beispielsweise Homosexuelle oder Flüchtlinge“. Gläubige würden bereits durch die Strafbarkeit der Beleidigung, der üblen Nachrede und der Volksverhetzung geschützt.
Dazu äußerte sich die Deutsche Bischofskonferenz am gestrigen Dienstag. Sie plädiert für eine Beibehaltung des bestehenden Gesetzes. Die Kirche verweist auf die Wichtigkeit, dass unsere pluralistische Gesellschaft trotz Aufklärung einen Raum für das „Sakrale“ bewahrt. Es geht darum, die Unantastbarkeit von bestimmten religiösen Symbolen oder Vorstellungen grundsätzlich zu akzeptieren und zu schützen.
„Die bisherige Vorschrift nimmt einen klugen Ausgleich zwischen hohen Verfassungsgütern wie der Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit und der Religions- und Weltanschauungsfreiheit vor“, sagte dazu Sprecher Matthias Kopp in Bonn.