Dass die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zu einem Miltäreinsatz gegen die Schlepper an den libyschen Küsten drängt, darf nicht verwundern. Mogherini ist Italienerin und erlebt die Flüchtlingstragödie im eigenen Lande. Denn Italien, das von mehr als zwei Drittel der nordafrikanischen Flüchtlinge angepeilt wird, obliegen die oft dramatischen Rettungsmaßnahmen und Bergung der zahllosen Toten. Allein seit Jahresbeginn wurden über 1800 Ertrunkene gezählt. „Die Situation ist beispiellos und erfordert aus moralischen Gründen eine außergewöhnliche Maßnahme,“ appellierte Mogherini Montagabend an den UN-Sicherheitsrat in New York. Flankiert von Frankreich und Großbritannien ist sie die treibende Kraft unter den EU-Partnern für eine gezielte militärische Intervention, die die Zerstörung der Schlepperboote noch vor ihrem Einsatz zum Ziel hat. Es würde unter Zeitdruck an einem Resolutionsentwurf gearbeitet, der „alle notwendigen Mittel“ gegen Schlepperboote legitimieren würde.
Ein UN-Mandat ist die Voraussetzung für eine Operation der EU-Streitkräfte in den libyschen Hoheitsgewässern. Die Frage ist, auf welcher rechtlichen Basis dieses erteilt werden soll. Mogherini hofft offenbar, das Kapitel VII der Charta anwenden zu können. Dieses gestattet Militäraktionen bei „Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“. Als „Bedrohung“ könnten die islamistischen Milizen zitiert werden, die in der Tat die libyschen Küstenstreifen kontrollieren, von wo die Boote starten. Mogherini sprach im Zusammenhang mit den Schlepperbanden auch allgemein von einer Gefährdung der europäischen Sicherheit, weil Isis über das Meer ungehinderten Zugang nach Europa hätte.
Möglicherweise verfolgt die EU-Außenbeauftragte mit dem geforderten Militäreinsatz ein doppeltes Ziel: den Menschenhandel vor Ort zerschlagen und gleichzeitig den Einfluss von Isis und der islamistischen Gegenregierung in Libyen zurückdrängen. Letztere hat das Land seit den Wahlen 2014 in einen aussichtslosen Bürgerkrieg gezogen. Die von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannte „Regierung der nationalen Einheit“ musste sich nach Tobruk zurückziehen. Sie regiert nur über einen Teil des Hoheitsgebietes.
Über die Art des Militäreinsatzes, ob dieser durch Luft- oder Seestreitkräfte erfolgen soll, sowie über die Beteiligung einzelner EU-Staaten ist noch nichts genaues bekannt. Gestern hieß es, dass die UN-Vetomacht Russland sich gegen die Operation ausgesprochen hätte. Hingegen zeigte sich Mogherini heute sehr zuversichtlich, in den nächsten Tagen eine Einigung zu erzielen.
Die EU- Strategie erschöpft sich jedoch nicht allein in der physischen Zerstörung der Schlepperboote an den Küsten, sondern umschließt weitere Aktionen an verschiedenen Fronten: die Unterstützung der Herkunfts- und Transitländer der Flüchtlinge, die Kontrolle der libyschen Südküste und die der angrenzenden Länder, und schließlich Maßnahmen gegen die Menschenhändler und Kapitäne. Wie der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian mitteilte, sollen beim Aufspüren der Banden die Geheimdienste der Mitgliedstaaten mit einbezogen werden. Es müsse einen abgestimmten Einsatz geben.
Abgesehen von den Veto-Großmächten Russland und China, die es im UN-Sicherheitsrat zu überzeugen gilt, gibt es noch andere Kritiker des Militärplans. Allen voran Libyens Regierung, deren Kooperation man zu suchen vorgibt. UN-Botschafter Ibrahim Dabbashi sagte in einem BBC-Interview, Libyen lehne die EU-Pläne ab. Sein Land sei nicht von der EU angehört worden. „Sie haben uns im Dunkeln über ihre Absichten gelassen, das ist sehr besorgniserregend.“ Libyen möchte wissen, wie die EU-Streitkräfte harmlose Fischerboote von denen der Schlepper unterscheiden wolle. In der Tat benutzen die Banden zumeist alte Fischerkähne für die Überfahrten.
Dieser Punkt ist auch heftig von Menschenrechtsorganisationen kritisiert worden. Das „Schiffeversenken“ werde die Lage nur weiter verschärfen, sagt die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Selmin Çalişkan. „Wenn die EU ihre Pläne umsetzt, sitzen die Flüchtlinge vollends in der Falle und können nicht mehr aus dem Land fliehen“, erklärte Çalişkan.
Amnesty schlägt stattdessen vor, eine gemeinsame Seenotrettung auf dem Mittelmeer einzurichten, deren Einsatzgebiet bis vor die libysche Küste reicht. Zudem müssten mehr Aufnahmeplätze für Flüchtlinge in der EU geschaffen werden.
Mit der zuletzt genannten Forderung stimmt Mogherini durchaus mit Amnesty überein. Die EU-Ministerin diskutiert derzeit in Brüssel einen Quoten-Plan der gerechteren und gleichmäßigeren Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Staaten. Berechnungsgrundlage sollen Bruttosozialprodukt, Einwohnerzahl und Infrastrukturen seien. Es ist ein sehr mutiger Vorschlag, gegen den sich vor allem die Briten wehren. Bisher gilt noch das Dublin-II-Abkommen, das die Asylantragsstellung in dem Ankunftsland vorschreibt. Demnach müssten Deutschland und Italien, die in den letzten Monaten die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, entlastet werden. Papst Franziskus hat die Staatengemeinschaft schon lange aufgefordert, Italien mit der Flüchtlingstragödie nicht alleine zu lassen. Ganz Europa sei von dem Problem betroffen und es gäbe nur eine gemeinschaftliche Lösung.