Neues Buch von Ulrich Nersinger über das Martyrium von Óscar Arnulfo Romero
Welche Bedeutung und Wirkung Selig-und Heiligsprechungen in der Katholischen Kirchen heute noch haben, zeigt der renommierte Vatikan-Experte Ulrich Nersinger anhand der viel diskutierten Causa des Óscar A. Romero auf. Der Erzbischof von San Salvador, schonungsloser Kritiker von sozialer Ungerechtigkeit und Gewalt, wurde 1980 im Auftrag des Militärregimes ermordet.
Er ist in ganz Mittelamerika eine wichtige Symbolfigur, wo er seit der Bluttat vom Volk wie ein Heiliger verehrt wird. Dennoch ließ eine offizielle Anerkennung als Märtyrer durch die zuständige Kongregation in Rom auf sich warten. Erst nach 35 Jahren, im vergangenen Mai, wurde Romero unter großem Applaus in San Salvador seliggesprochen.
In der Tat stieß der Seligsprechungsprozess, der 1997 in Rom eingereicht wurde, auf den Widerstand von gewissen Kirchenkreisen. Der Autor, der selbst an Selig- und Heiligsprechungsverfahren beteiligt ist, rollt das Verfahren noch einmal auf und erklärt, welche Gründe zu der Verzögerung geführt haben. Nunzii und Geistliche wie der kolumbianische Kardinal Alfonso López Trujillo warfen Romero vor, sich nicht genügend von marxistischen Tendenzen der Befreiungstheologie abgegrenzt zu haben. Theologischer Streitpunkt war die Frage, ob der Erzbischof in odium fidei, also aufgrund eines Hasses gegen den Glauben getötet wurde oder aus rein politischen Gründen. Letztlich hat auch die Sorge vor einer Instrumentalisierung des zukünftigen Seligen durch die politische Linke und insbesondere durch die unter Johannes Paul II. gebannten Theologie der Befreiung den Prozess gebremst.
Die Jahre vergingen, in den Zentralamerikanischen Staaten setzte ein langsamer Demokratisierungsprozess ein, die Auswirkungen des Kalten Krieges verblassten. Bereits Benedikt XVI. hat kurz vor seinem Rücktritt alle Bedenken der Kritiker beiseite geräumt. Aber erst sein Nachfolger, Papst Franziskus, hat den Prozess wiederaufgenommen und im Eiltempo zum Abschluss gebracht. Eine sorgfältige Rekonstruktion der Ansprachen Romeros sowie eine unparteiische Analyse der schwierigen sozio-politischen Situation in El Salvador am Vorabend des Bürgerkriegs konnte den Nachweis erbringen, dass Romero getötet wurde, weil er die „Soziallehre der Kirche und die Liebe Christi zu den Armen verteidigte“. Für das salvadorenische Volk bedeutet diese Anerkennung Frieden und Versöhnung mit der Vergangenheit.
Romero, der zunächst als konservativ und regierungsfreundlich galt, hat nie bestimmte politische Ideologien adoptiert oder war gar Sympathisant der bewaffneten Guerilla. Er lehnte jegliche Gewalt ab. Als Priester und Hirte verteidigte er von der Kanzel die besitz- und rechtlosen Bauern gegen das brutale Vorgehen des rechtsextremistischen Militärs im Dienste der Feudalherren, die sich gegen die Landreform stellten. Damit rückte der Kirchenmann mit seinen Glaubensbrüdern ins Visier der mächtigen Oligarchenfamilien. Kurz vor seinem Tod verfasste er einen Aufruf an den amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter von der geplanten Militärhilfe abzusehen. Am 24. März 1980 wurde Romero von den Todesschwadronen während einer Messefeier heimtückisch erschossen, nachdem er per Radiosender an das Gewissen der Soldaten appelliert hatte, nicht auf die eigenen Landsleute zu schießen.
Der anschließende, über ein Jahrzehnt dauernde Bürgerkrieg zwischen der Guerilla und dem US-gestütztem Militär forderte über 70.000 Zivilopfer, darunter auch einige Priester und Missionare.
„Romero hat mit der Kraft der Liebe Frieden geschaffen und mit seinem Leben Zeugnis für den Glauben abgelegt“, hieß es in dem apostolischen Brief von Papst Franziskus. Franziskus hat ein wichtiges Signal gesetzt, indem er den Märtyrerbegriff erweiterte. Ein Märtyrer ist demnach nicht allein derjenige, der sein Leben im Bekenntnis für Jesus Christus hingibt, sondern der sein Leben im Bekenntnis für Jesus Christus zugunsten der Armen und Rechtlosen hingibt und dabei – wenn es die Umstände verlangen – politisch Partei ergreift. Sie erkennt an, dass Romeros Eintreten für die Armen und für Gerechtigkeit durchaus mit dem Glauben zu tun hat.
Nersinger bemüht sich um ausgleichende Darstellungen der Positionen und stellt die Causa Romeros in den fast zweitausendjährigen Kontext des christlichen Blutzeugnisses. Ein Vergleich mit anderen „politischen Märtyrern“ wie Thomas Becket, der Erzbischof von Canterbury, und vor allem den Opfern des Nationalsozialismus P. Maximilian Kolbe sowie Edith Stein macht deutlich, dass Seligsprechungsverfahren nie ganz frei von ideologischen beziehungsweise gesellschaftlichen Betrachtungen sind. Oft erfahren die vorbildhaften Christen erst nach vielen Jahren eine entsprechende Würdigung.
Ulrich Nersinger
Attentat auf den Glauben. Das Martyrium des Óscar A. Romero,
Bernardus-Verlag 2015,
130 Seiten, Euro 14, 80
ISBN 978-3-8107-0232-6