Vorbereitungen zum Heiligen Jahr
Ein bekanntes Sprichwort sagt, wenn die Generalprobe total schief geht, wird die Premiere ein Erfolg. Darauf hoffen zurzeit auch die Bürger in Rom. Am morgigen Dienstag, am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis Mariens, wird Papst Franziskus die Heilige Pforte im Petersdom aufstoßen und das außerordentliche Jubeljahr ausgerufen. Erwartet werden in den kommenden zwölf Monaten Millionen von Gläubigen, die die Hauptstadt zusätzlich zu dem gewöhnlichen Saisontourismus zu verkraften hat. Und die Generalprobe sieht ganz nach Reinfall aus.
Als der Papst im vergangenen März völlig unerwartet das Sonder-Jubiläum ankündigte, schluckten die Römer erst einmal. Die Hauptstadt war soeben durch Staatshilfe mühsam vor dem Bankrott gerettet worden. Einsparungen aller Art haben zu einem regelrechten Kollaps der kommunalen Dienstleistungen geführt: Schlaglöcher oder wackelnde Pflastersteine wohin man tritt, welche die Fortbewegung, sei es mit Auto, Bus oder zu Fuß zu einem sportlichen Abenteuer werden lassen. In den Parks und auf den Bürgersteigen akkumuliert sich der Abfall, weil sie seit Monaten nicht mehr gereinigt wurden. Wenn die Verkehrsbetriebe nicht streiken, fielen die veralteten Züge oder Busse wegen technischer Defekte aus.
2015. Das Jahr der Skandale und Anarchie
Hinzu kam der verheerende Skandal „Mafia Capitale“, der die langjährigen Verstrickungen zwischen Gemeinderäten, Unternehmern und einer lokalen Mafia offenlegte. Er war ein harter Schlag für die stolzen Römer, die die Hauptstadt bisher außerhalb der Tentakel der organisierten Kriminalität glaubten.
Damit nicht genug, wurde der amtierende Bürgermeister Ignazio Marino im Oktober wegen „Unfähigkeit“ von der eigenen Partei abgesetzt. Rom wird nun bis zu den Neuwahlen kommissarisch verwaltet. Die Hintergründe des Fenstersturzes sind bis heute nicht ganz klar. Marino behauptet, seine „Aufräumaktionen“ seien systematisch boykottiert worden. Tatsache ist, dass die von der vom Kabinett Matteo Renzi zugesprochenen Gelder für das Jubiläum erst nach seinem erzwungenen Rücktritt eintrafen, just 25 Tage vor der Eröffnung des Heiligen Jahres. Interne politische Gründe haben also zu zusätzlichen Verzögerungen der dringend nötigen Bau- und Sanierungsarbeiten für das Pilgerjahr geführt.
Renovatio Urbis
Ein Wettlauf gegen die Zeit, zu dem man geboren sein muss, um ihn zu gewinnen. Italiener sind dafür bekannt, dass sie erst unter enormen Zeitdruck zur Hochform auflaufen. Bis Oktober waren nur zwei der 32 Bauprojekte für das Jubiläum in Angriff genommen worden. Die restlichen Arbeiten starteten erst in den letzten vier Wochen. Sie betreffen vor allem die Reparatur von Straßen und Plätzen und den Ausbau von Bürgersteigen rund um den Vatikan und die anderen drei Patriarchalbasiliken.
Wie im Mittelalter sollen sich die Pilger zu Fuß bewegen, die Reisebusse sind an den Stadtrand und in wenige, sündhaft teure Parkhäuser verbannt. Eine vernünftige Entscheidung, da Roms Straßen keine weitere Verkehrsbelastung verträgt. Neue Fußgängerzonen sind überhaupt wünschenswert in einer Stadt, in der bis heute Autos und knatternde Mopeds regieren. Bisher fehlt es an bequemen und sicheren Übergängen von der Altstadt auf die Vatikanseite: das Bild von verängstigten Touristen, die sich auf den handtuchbreiten Bürgersteigen des Lungotevere quetschen, der verkehrsreichen Straße am Tiber, in der Erwartung, dass die Ampel endlich auf Grün springt, ist allgegenwärtig.
Nun scheint sich Rom doch noch aus seiner langen Paralyse zu befreien. Es schält sich langsam eine „erneuerte Stadt“ heraus. Überall wird gebaut, gehämmert, geflickt und geputzt, und zwar rund um die Uhr. Graffiti-Kritzeleien werden von Hauswänden und Metroeingängen entfernt, die Grünflächen entmüllt und neu bepflanzt. Der barocke Trevi-Brunnen wurde vor kurzem fertig restauriert und erstrahlt jetzt wieder in blendendem Weiß. Das Ende der Restaurierung der Spanischen Treppe wird noch bis zum nächsten Frühjahr andauern. Das gilt übrigens auch für einen Teil der Straßenarbeiten, die natürlich trotz des maximalen Einsatzes nicht alle pünktlich zum Abschluss gebracht werden können. Wirklicher Stichtag ist Ostern, also März 2016. Der Jubiläumsbeauftragte des Vatikans, Erzbischof Vico Fisichella hat jüngst noch einmal sein Vertrauen in die Organisatoren beteuert, „dass sie bis zum Massenansturm in der Karwoche Rom startklar haben“. Aber seine Zweifel konnte der Prälat nicht ganz verbergen.
Pilgerboom ungewiss
Mit den Pilgerzahlen ist wild jongliert worden. Das letzte Pilgerjubiläum im Jahr 2000 hatte fast 25 Millionen Besucher gezählt, natürlich über das Jahr verteilt, mit Höhepunkten an den Feiertagen, vor allem an Ostern. Die diesmalige Schätzung (Censis) beläuft sich sogar auf 33 Millionen Pilger und Touristen, fast das Zweieinhalbfache der diesjährigen Besuchermenge. Das wäre den Bürgern der Dreimillionen-Metropole nicht zu wünschen. Der Vatikan hält diese Ziffer jedoch für viel zu hoch gegriffen. Zum ersten Mal wird nämlich in der Kathedrale eines jeden Bistums eine Heilige Pforte eingerichtet. Damit wird all denjenigen Gläubigen, die sich eine Reise nach Rom nicht erlauben können, die Möglichkeit eines Generalablasses der Sünden gegeben. Das Pilgern nach Rom ist demnach nicht zwingend.
Terrorangst rückt in Hintergrund
Inwieweit die Angst vor Attentaten den Besucherstrom mindern wird, ist noch nicht abzusehen. Bisher meldet der Verband der römischen Hoteliers nur fünf Prozent Stornierung als direkte Reaktion auf die Ereignisse in Paris. Bis zum Frühjahr kann sich die anfängliche Panik wieder legen. Polizeipräfekt Franco Gabrielli arbeitet seit dem Sommer an dem Sicherheits- und Evakuierungsplan. 94 Punkte in der Stadt wurden als besonders sensibel eingestuft und 2000 Militärs zum Objektschutz abkommandiert. Außerdem wurden ein Flugverbot und andere kleinere Schutzmaßnahmen verhängt. Der Petersplatz ist videoüberwacht und Metall-Detektoren sind schon seit Jahren vor dem Dom und den wichtigsten Museen üblich. Selbst die Verkehrsmittel werden von Polizeibeamten in Zivil begleitet. Italien hat noch aus der Bekämpfung des Rote-Brigade-Terrorismus in den 70ziger Jahren einen umtriebigen wie erfahrenen Geheimdienst. Auch darauf vertraut man. Gabrielli wird es dem IS zumindest schwierig machen, seine schwarze Fahne auf dem Petersplatz zu hissen. Schließlich hat der ehemalige Chef des Zivilschutzes schon Beweise seiner außerordentlichen Fähigkeiten gegeben, als er die verunglückte Costa Concordia wieder aufrichten und bergen ließ, eine logistische und technische Meisterleistung.
Aber die Römer wollen in diesen Tagen nicht an Katastrophen erinnert werden, die erlebt man hier täglich im kleinen Stil. Sie erwarten, dass mit dem Beginn des Jubiläums das schwarze Jahr nun doch einen freudigen Abschluss findet.