Eine Besuch im Atelier von Angelika Kauffmann (1741-1807) war ein Muss für jeden Romreisenden im 18. Jh. Könige begehrten sie als Hofmalerin, aber sie über Kundschaft und Finanzen lieber selbst. In Goethe fand sie einen Seelenverwandten, ihre heimliche Liebe wurde jedoch nicht erwidert.
Angelika Kauffmann musste nur das Hintertor ihres Hauses in der Via Sistina 72 öffnen, dann stand sie im Gelände der ländlichen Villa Malta am Abhang des Pincio. Hier trafen sich die „Deutschrömer“, eine konsistente Gruppe von deutschsprachigen Künstlern, die das Studium oder die Hoffnung auf eine berufliche Existenz nach Rom getrieben hatte. Die Grand-Tour-Mode ließ das Kunstgeschäft in der Ewigen Stadt florieren, wollten doch die Reisenden ein Selbstporträt oder eine Vedute im Gepäck mit nachhause nehmen. Die Schweizer-österreichische Malerin war bewunderter Star in der ausländischen Enklave. Prominenz aus ganz Europa, vor allem aus England, kam in ihr Atelier, um sich porträtieren zu lassen, und ihr Haus war eine der wichtigsten Intellektuellensalons der Stadt.
Auf der Suche nach einer Hostaria Liebschaft
Im Garten der Villa Malta, in dem wilder Wein wuchs und von dem man einen herrlichen Blick auf die Stadt hatte, durfte Angelika ihre Staffel aufstellen. Hier besuchte sie auch Goethe und trug ihr seine Fortschritte in der Farbenlehre oder die neuesten Verskompositionen seiner „Iphigenie“ vor, die sie mit Illustrationen anreicherte. Er hatte die Künstlerin kurz nach seiner Ankunft an einem verregneten Novembertag 1786 kennengelernt und in ihr eine ebenbürtige Gesprächspartnerin gefunden. Sie holte ihn regelmäßig mit der Kutsche ab, um in eine der zahlreichen Sammlungen zu fahren und dort stundenlang mit dem belesenen Cicerone J. F. Reiffenstein Kunstwerke zu debattieren. Angelikas kosmopolitische Sonntagstafel im Kreise von Malern, Gelehrten und Adelsprominenz waren die einzigen gesellschaftlichen Anlässe, die der entflohene Staatsdiener in Rom nicht versäumte und für die er sich standesgemäß kleidete. Am liebsten aber zog er mit seinen ausgelassenen WG-Genossen, mit Tischbein und den jungen hessischen Malern Schütz und Bury, auf Antiken-Sightseeing los und mischte sich abends unters Volk. In einer Osteria fand er letztlich auch die Liebschaft mit einer jungen Einheimischen, nach der er sich so lange gesehnt hatte – nach der sexuell unbefriedigenden Dauerbeziehung mit der sittsamen, verheirateten Hofdame Charlotte von Stein.
Keine Chance bei Goethe
Für die acht Jahre ältere Angelika war es offenbar mehr als eine Geistesfreundschaft, sie schüttete Goethe ihr Herz aus: dass sie trotz ihres Erfolgs nicht glücklich und leid sei, Auftragsarbeiten auszuführen. Sie fühle sich künstlerisch unfrei. Aber ihr alter Gatte, – selbst Maler und ihr geschäftstüchtiger Manager -, dränge sie wegen des „leicht verdienten Geldes“ dazu. Die 15-Zimmer-Wohnung bei der Spanischen Treppe, Bedienstete, die regelmäßigen Tafelrunden, eine eigene Kutsche, Reisen, das kostete. Goethe tröstet sie: „Ich (…) hab‘ ihr meinen Rat gegeben und muntre sie auf, wenn ich bei ihr bin.“ Ihre wahren Gefühle deutete sie erst nach seiner Abreise in zwölf Briefen an: dass sie unter Trennungsschmerz litt und von seiner Rückkehr träume. Wir kennen seine Antwort nicht, weil sie seine Briefe 1789 vernichtete, aber er beschrieb die Freundin in einem Brief an Herzog Karl August als eine „zarte und reine Seele wie eine liebende Madonna“, – ein vernichtendes Urteil für eine verliebte Frau.
Der eitle Dichter
Sie hat Goethe porträtiert, kostenlos. Es war eine hohe Ehre, in ihrer Freundesgalerie aufgenommen zu werden, unter der sich Geistesgrößen befanden wie der herausragende Altertumsforscher Joachim Winckelmann, mit dem sie persönlich als junges Mädchen befreundet war. Das Werk hatte ihr 23 Jahre zuvor (1764) den Durchbruch als Porträtmalerin gebracht, und ihr sogenannter „empfindsamer Stil“, der nicht den sozialen Rang, sondern das Innenleben der Person in den Vorderrund stellte, wurde zu ihrem Markenzeichen und traf den Geschmack der Zeit im Übergang vom Rokoko zum Klassizismus.
Goethe beäugte wohl mit kritischer Mine die Entstehung seines Porträts, an dem sie lange arbeitete. In dem zarten Antlitz des nachdenklichen jungen Mannes mit den glänzenden, melancholischen Augen gefiel sich der ehrgeizige Dichter nicht. „Hübscher Bursche, aber keine Spur von mir“. Er zog das im Pathos an einen Apollo erinnernde marmorne Bildnis mit Lockenmähne und idealisierten Zügen entschieden vor, das der Schweizer Alexander Trippel im Atelier bei S. Trinità dei Monti meißelte: heroisch und selbstbewusst, ja, so wolle er gerne im Gedächtnis der Nachwelt erhalten bleiben.
Eine Frau kann kein Genie sein
So sehr der Weimarer Dichter Angelikas Belesenheit und das „für ein Weib ungeheuerliche Talent“ lobte, so gönnerhaft fiel sein Urteil über ihre Kunst aus, die ihm zu manieriert und gefällig schien. Den sonst so gern benutzten Begriff Genie wendete er nicht an, – obgleich die Tochter des Bregenzer Wandermalers fünf Sprachen sprach, Ehrenmitglied der wichtigsten Kunstakademien und für Herder die „kultivierteste Frau Europas“ war. Der Status des Genies gebührte damals nur Männern.
Als sie 1807 mit 66 Jahren starb, hinterließ sie unter anderem 800 Ölgemälde und 400 Zeichnungen, die heute auf die großen europäischen Museen verteilt sind, ferner einige wenige Kirchenfresken. Kein geringerer als Antonio Canova organisierte den Trauerzug zur Kirche S. Andrea delle Fratte, wo sie neben ihrem Mann bestattet wurde. Er war der größte in Rom nach dem für das Malergenie Raffael, fünfzig Priester schritten voran und Vertreter der Akademien schulterten ihren Sarg und zwei ihrer kolossalen Gemälde. Im selben Jahr wurde sie mit einer Büste im Pantheon geehrt, wo nur die beliebtesten und besten Künstler in Rom ruhen dürfen.
Der Stadtpalast von Angelika Kauffmann in der Via Sistina 72, gegenüber der Bibliotheca Hertziana, wurde später in das „Hotel de Ville“ umgewandelt; vor ihr wohnte hier der klassizistische Maler Anton Raphael Mengs. Die Villa Malta in der via Pinciana, nur ca. 300 Meter davon entfernt, ist heute Sitz der Jesuitenzeitschrift „Civiltà Cattolica“.