Das geschickte Vorgehen der pragmatischen Giorgia Meloni

Meloni sitzt seit über zwei Jahren fest im Sattel. Der Erfolg der postfaschistischen Premierministerin scheint auf dem Gleichgewicht zwischen ideologischem Illiberalismus und Pragmatismus zu beruhen. Über die Beschneidung wichtiger demokratischer Rechte sehen ihre Anhänger großzügig hinweg. Doch nicht nur Italien riskiert eine autokratische Verformung: Meloni will die EU mitreissen

Als Giorgia Meloni im Oktober 2022 als erste Premierministerin Italiens mit neofaschistischen Wurzeln vereidigt wurde, war man in Berlin wie auch in Brüssel nicht geringfügig besorgt. Hatte die Parteichefin der rechtsnationalen „Brüder Italiens“ doch noch im Europawahlkampf 2014 den Ausstieg aus dem Euro gefordert und „dieses ‚falsche Europa‘, verkörpert von den gemeinsamen Institutionen der EU“, in ihrer 2021 erschienen Autobiografie als „utopisch und potenziell tyrannisch“ bezeichnet. In Bezug auf den Ukraine-Konflikt fürchtete man prorussische Sympathien mit einer Kürzung der Militärhilfe.

Nun, diese Befürchtungen haben sich – Dank der geschickten Strategie der Premierministerin – in kurzer Zeit zerstreut. Meloni ist sorgsam darauf bedacht, sich auf internationaler Bühne Rückhalt zu verschaffen. So macht sie in der Außenpolitik bisher keine Anstalten aus dem europäischen Bündnissystem auszuscheren, im Gegenteil. Sie präsentiert sich als zuverlässiger Partner der EU und der NATO.

Auch in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik verstieß sie bisher kaum gegen europäische Regeln, schon allein deshalb, um die Ratenzahlungen aus der europäischen Aufbau-und Resilienzfazilität nicht zu gefährden, die das Land dringend für die Modernisierung seiner Infrastrukturen benötigt. Die Neuverschuldung für 2024 liegt mit 3,3-3,8 % wieder leicht über der Maastricht-Grenze. Ab 2027 will Meloni vorgeblich die Staatsschulden mit einem Sparplan abbauen.

Nicht nur Ursula von der Leyen schüttelt der jovial auftretenden italienischen Politikerin vor laufender Kamera auffallend herzlich die Hand. In der öffentlichen Wahrnehmung, in Italien wie im Ausland, setzt sich langsam das Bild einer pragmatischen, seriösen Staatschefin durch, die dem christlich-konservativen Lager angehört, nicht mehr dem rechtsextremen. Schließlich wurde das Abkommen mit Albanien, wo künftig in Italien angelandete Bootsflüchtlinge bis zu ihrem Asylentscheid oder ihrer Abschiebung inhaftiert werden sollen, von der christdemokratischen EU-Kommissionspräsidentin als ein „innovativer Weg zur Bekämpfung illegaler Migration“ begrüßt. Aber auch andere Regierungen liebäugeln offen mit der Verlegung von Asylverfahren in Drittländer außerhalb der EU.

Die Skulptur von Renato Bertelli, ein im Faschismus vielfach kopiertes Propagandaporträt des Duce, wird in der Futurismus-Ausstellung in der GNAM unter rein ästhetischen Aspekten präsentiert.

Nach außen EU-freundlich, innenpolitisch autoritär und reaktionär

Daraus zu schließen, dass Meloni zu einer demokratischen Rechten geläutert sei, wäre jedoch ein fataler Trugschluss. Denn innenpolitisch lassen die Fratelli d’Italia keine Gelegenheit aus, sich ideologisch zu profilieren und ihre antidemokratischen Werte schrittweise zu verankern. Sie nutzen große Museen für Buchpräsentationen, um Publikationen, die die Geschichte der extremen Rechten nach dem zweiten Weltkrieg mystifizieren, ein staatliches Gütesiegel aufzudrücken. In Ausstellungen wird eine ästhetische Revision der Kunst und Architektur des Faschismus versucht, völlig losgelöst von ihrem ideologischen Hintergrund und ihrer Botschaft. Zentrale Positionen in der staatlichen Kultur und im Fernsehen werden nach politischer Affinität vergeben, Kritiker marginalisiert und durch Verleumdungsklagen eingeschüchtert. Journalistenverbände und die EU-Kommission äußerten Bedenken über die zunehmenden Einschränkungen der Pressefreiheit im Belpaese. Auch die Justiz ist aggressiveren Attacken als unter Berlusconi ausgesetzt, wenn sie politische Entscheidungen juristisch in Frage stellt wie beispielsweise im Falle des Albanien-Modells.

Ausländer, Minderheiten und »Subversive« im Visier

Wichtige Errungenschaften der immer noch katholisch geprägten Gesellschaft wurden wieder abgeschafft. Gleichgeschlechtliche Paare verloren ihren Elternstatus und Abtreibungsgegner dürfen künftig in Abtreibungskliniken als »Berater« auftreten. Die Streichungen im Sozialwesen wie das Bürgergeld, eine Art Hartz IV, die niedrigen Löhne – es gibt keinen Mindestlohn – und fehlenden Investitionen in dem seit der Pandemie völlig ausgemergelten öffentlichen Gesundheitswesen haben landesweit Streiks ausgelöst.

Einer Zuspitzung sozialer Konflikte und Proteste will die Regierung mit mehr Repression begegnen. Das vergangenen November vorgelegte «Sicherheitspaket», eine Sammlung von Strafverschärfungen, neu eingeführten Straftatbeständen und mehr Befugnissen für die Sicherheitskräfte sollen abschrecken und von Aktionen zivilen Ungehorsams abhalten. Verkehrsminister Matteo Salvini griff mehrfach in das Streikrecht ein.

Jugendkriminalität soll härter bestraft werden, vor allem von Minderjährigen begangene Straftaten. 2024 zählte 88 Suizide in den chronisch überbelegten italienischen Gefängnissen, in denen rund 16.000 Haftplätze fehlen und Widerstand zur Tagesordnung gehört. Das Schlagen mit Topfdeckeln gegen die Gitter gilt fortan als Akt der «Revolte» und kann mit zwei bis acht Jahren zusätzlicher Haft bestraft werden, ein Gesetz, das dem «Codice Rocco» des Ventennio entlehnt scheint. Ähnliches droht auch Flüchtlingen, die sich gegen die Zustände in Abschiebezentren zur Wehr setzen.

Warum lassen sich die Italiener die Beschneidung demokratischer Rechte gefallen?

Meloni hält ihre Koalition aus Lega und Forza Italia, die insgesamt 46% der Stimmen innehaben, straff an den Zügeln und hat bisher jede Regierungskrise – zum Beispiel wegen Skandale um unqualifizierte Minister – medial geschickt gemeistert. Als pragmatische Überlebenskünstlerin bewundert verkörpert sie nach nur zwei Jahren Amtszeit die ersehnte politische Stabilität, ein wunder Punkt in der streitsüchtigen parlamentarischen Demokratie Italiens, denn Stabilität ist eine Voraussetzung für die Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme. Dass sie diese in Wahrheit gar nicht strukturell angeht und vor allem nicht die wirtschaftliche Misere der Mittelschicht und den youth drain lindert, wird von ihrer populistischen Rhetorik clever kaschiert oder ihr wegen der „geerbten Staatsverschuldung“ nachgesehen. Hingegen spielen ihre Polemik gegen „linke Werte“ wie Multikulti und Minderheitenschutz, ihre anachronistische Verteidigung der traditionellen »Mulino-Bianco-Familie« eher eine untergeordnete Rolle in ihrer Anhängerschaft, die sich weiter in der bürgerlichen Mitte ausdehnt. Melonis Ansehen ist seit ihrer Wahl von 26% auf knapp 29 % gestiegen.

2025 steht eine Verfassungsänderung auf dem Spiel

Das kommende 2025 erklärte Giorgia zum Jahr der Reformen. Die umstrittene Reform der differenzierten Autonomie der 20 Regionen, das »Caldaroli-Gesetz«, wird möglicherweise in einem Referendum entschieden bzw. abgewiesen. Schwerer wiegt die geplante Verfassungsänderung für die Einführung der Direktwahl des Ministerpräsidenten. Demnach hinge die Regierungschefin nicht mehr vom Parlament ab, sondern umgekehrt – wie zurzeit Mussolinis. Meloni ist sehr am Erfolg dieser »Mutter aller Reformen« gelegen, die sie als autokratisches Modell in der EU bewerben möchte.

Während Deutschland und Frankreich durch innenpolitische Krisen geschwächt sind, kann Meloni ihr Ansehen und das von Italien außenpolitisch stärken. Mit Trump als neuen US-Staatspräsidenten dürften die Winde noch günstiger stehen, denn es könnte ihr als persönliche Freundin eine zentrale Vermittlerrolle zwischen der EU und dem unberechenbaren Tycoon zufallen. Auch Elon Musk hat eine Verbündete in ihr gefunden. Jedenfalls besteht die Gefahr, dass die Strahlkraft des italienischen rechtsextremen Kometen in Europa weiter zunimmt – als leuchtendes Vorbild für all diejenigen, die der Demokratie überdrüssig geworden sind.