Historische Resolution soll Druck auf Friedensverhandlungen im Nahen Osten machen
Gestern hat das Europäische Parlament in Straßburg eine Resolution zur Anerkennung Palästinas als Staat verabschiedet. Die epochemachende Resolution wurde von einer breiten, fraktionsübergreifenden Mehrheit getragen: 498 Abgeordnete stimmten dafür, 88 dagegen und 111 enthielten sich.
„Das Europäische Parlament unterstützt im Prinzip die Anerkennung der Eigenstaatlichkeit Palästinas und die Zwei-Staaten-Lösung und vertritt die Auffassung, dass dies Hand in Hand gehen soll mit Friedensgesprächen, die beschleunigt werden sollen,“ heißt es in dem Papier. Grundlage seien die Grenzen von 1967 mit Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten.
Was bedeutet das im Klartext? Die Anerkennung eines Palästinenserstaats soll erst im Zuge von Friedensverhandlungen erfolgen, also zu einem noch nicht festgelegten Zeitpunkt. Außerdem ist sie an Bedingungen geknüpft, auf die insbesondere die konservative EU-Volkspartei bei den Vorverhandlungen bestand: an die Aussicht auf eine friedliche Koexistenz mit dem israelischen Staat. Palästina wird gezwungen, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Immer noch ist die Vernichtung des verhassten Nachbarn in der Gründungscharta der radikal-islamischen Hamas, die in Gaza regiert, geschrieben. Folglich werden auf beiden Seiten alle Aktionen verurteilt, die eine Verhandlungslösung „infrage stellen“. Die Kritik am anhaltenden israelischen Siedlungsbau in der Westbank wird als „völkerrechtswidrig“ bekräftigt.
Kritiker fragen zu Recht, welchen Sinn und Einfluss dieser europäische Volksentscheid haben kann, da er keine völkerrechtliche bindende Wirkung hat, sondern nur „symbolisch“ ist. Die Anerkennung von Palästina obliegt weiterhin den einzelnen EU-Staaten. Seit dem letzten bewaffneten Konflikt in Gaza, der mehr als 2000 Tote auf palästinensischer Seite forderte, haben Attentate in Israel durch Palästinenser zugenommen. Heute scheint die Möglichkeit einer friedlichen Einigung mehr denn je entfernt. Zumal sich die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu durch die „einseitige Stellungnahme und Einmischung der EU“ in die Ecke gedrängt fühlt. Am gestrigen Mittwoch wurde nämlich – unabhängig von der Resolution – in der EU ein wichtiges Urteil gefällt: Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat die EU angewiesen, die Hamas von ihrer Liste mit terroristischen Organisationen zu streichen. Die EU prüft nun dagegen rechtliche Schritte. Die gestrige Reaktion Israels war entsprechend hart: “Wie es scheint, haben viele in Europa, auf dessen Boden sechs Millionen Juden ermordet wurden, nichts dazugelernt, “war der Kommentar von Benjamin Netanyahu. „Wir Israelis jedoch haben daraus gelernt.”
Alles also nur diplomatische Trockenübungen der Europäischen Union? Keinesfalls. Der Sinn einer grundsätzlichen Anerkennung eines palästinensischen Staates besteht darin, Druck auf Israelis und Palästinenser auszuüben und die festgefahrenen Friedensverhandlungen wieder in Gang zu bringen. Wichtig ist auch, den drohenden Ausbruch eines „Religionskonflikts“ abzuwenden. „Das Europäische Parlament warnt vor den Risiken einer weiteren Eskalation der Gewalt, die auch heilige Stätten einschließt. Dies könnte den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern in einen religiösen Konflikt verwandeln,“ liest man in dem Beschluss.
Ziel der Resolution ist, dass die Europäer durch eine gemeinsame Haltung im Nahost-Konflikt ihr Gewicht in der Region vergrößern können. Die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hatte erst vor kurzem erst für eine Führungsrolle der Europäer bei Nahost-Gesprächen plädiert. Die Abgeordneten beschlossen begleitend eine Initiative „Parlamentarier für den Frieden“, die Europaabgeordnete mit Kollegen aus Israel und Palästina parteiübergreifend zusammenbringen soll. Sie sollen gemeinsam eine „Agenda für den Frieden“ auf den Weg bringen.
Bis heute haben mehr 130 UNO-Länder Palästina als souveränen Staat anerkannt, darunter die EU-Staaten Schweden, Zypern, Ungarn usw. Die Palästinenser kämpfen seit Jahrzehnten um Anerkennung. Die palästinensische Autonomiebehörde mit Sitz in Ramallah entstand aber erst 1994 infolge der Friedensgespräche von Oslo. Nachdem der Antrag der Autonomiebehörde auf Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen durch das Veto der USA abgelehnt wurde, erhielt Palästina Ende 2012 zumindest den Beobachterstatus als Nichtmitglied.
Aufgrund der historischen Schuld gegenüber den Israelis, verhält sich Deutschland in der Frage so neutral wie möglich. Palästina ist nur mit einer diplomatischen Mission, nicht aber mit einer Botschaft vertreten. Der Heilige Stuhl hingegen hat nach der UNO-Resolution seine bilateralen Beziehungen zu Palästina ausgebaut. Die jahrlangen Arbeitskontakte mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), die beim Heiligen Stuhl durch einen Büroleiter vertreten war, wurden formalisiert: Papst Franziskus akkreditierte vor einem Jahr einen Botschafter des Staates Palästina. Die Bemühungen des Papstes um eine friedliche Zweistaatenlösung sind bekannt. Im vergangenen Juni lud er Palästinenser-Chef Abu Mazen und den damaligen israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres zu einem historischen Friedensgebet in den vatikanischen Gärten ein.