Buchtipp: „Zuhause im Niemandsland“ von dem Benediktiner P. Nikodemus Schnabel
Israel ist eines der umstrittensten Flecken dieser Erde, in politisch-militärischer und religiöser Hinsicht. Seit dem jüngsten Neuausbruch der Konflikte, im dem manche bereits die Dritte Intifada sehen, fühlen sich immer weniger Touristen und Pilger von dem Heiligen Land angezogen.
Mit dem uralten Land der jüdisch-christlichen Vorväter wird zunehmend Gewalt und Extremismus assoziiert. Insbesondere Jerusalem, der jüdischen Namensdeutung „Stadt des Friedens“ trotzend, ist zum Synonym für den scheinbar unlösbaren Religions- und Territorialkonflikt zwischen Juden und Muslime geworden. Die internationalen Medien unterstützen dieses einfarbige Bild.
Vor einem solchen Panorama ist das kürzlich erschienene Buch „Zuhause im Niemandsland“ von P. Nikodemus Schnabel ein unverhoffter Lichtblick in der Finsternis. Es zeigt nicht nur das wenig bekannte tolerante und friedliche Gesicht des bunten Jerusalemer Völkergemischs. Der Autor möchte vor allem darlegen, dass Religion keine Trennmauer in der Völkerverständigung sein muss.
Der Titel ist so ungewöhnlich wie der Autor selbst
Pater Nikodemus Schnabel ist ein leidenschaftlicher wie aufgeschlossener junger Benediktinermönch, der seit 12 Jahren in Jerusalem lebt und noch keinen Tag die Wahl seiner neuen Heimat bereut hat. Er wiederlegt nicht nur veraltete Klischees über das Leben eines Mönches, sondern vor allem über das Leben in den der Stadt der “religiösen Fanatiker”, wie sie von den laizistischen Bewohnern Tel Avivs genannt wird.
Als blutjunger Theologiestudent trat er in das Benediktinerkloster Dormitio auf dem Berg Zion ein, das an der Schnittstelle zweier Welten liegt: dem israelisch-jüdischen Westen und dem muslimisch-arabischen Osten. Völkerrechtlich betrachtet ist der Zion neutrales Gebiet, also „Niemandsland“. Der Dienst am Frieden und der Ökumene ist der 23 Mönche starken Gemeinschaft somit ein Imperativ. Die Dormitio-Abtei wird gerade wegen ihrer neutralen Position als Begegnungsstätte für unterschiedliche Konfessionen gewählt.
Seit dem ersten Tag erlebt Nikodemus den Nahostkonflikt aus nächster Nähe. Das hielt ihn nicht davon ab, sich in diese Stadt Hals über Kopf zu verlieben. Entgegen aller Vermutung zeichnet den Alltag des Benediktiners keine klösterliche Abgeschiedenheit aus. Er hat sich mit vielfältigen Ämtern und Aufgaben beladen. Als Pressesprecher der Abtei, Direktor des Jerusalemer Wissenschaftsinstituts der Görres-Gesellschaft und außerdem als Seelsorger der deutschsprachigen Katholiken in Israel und Palästina ist er häufig unterwegs und hat fast täglich mit Journalisten, Diplomaten und Theologen oder Gläubigen zu tun. Er kennt die pro-israelischen wie pro-palästinensischen Argumentationen, die religiösen Vorbehalte, die Gedanken und Nöte der Menschen. Sprich, er ist mitten im Zeitgeschehen.
Lebendige Ökumene gegen Intoleranz und Überheblichkeit
Und genau davon handelt das Buch: P. Nikodemus legt seine persönliche Sichtweise von der Stadt und ihrer christlichen, jüdischen und muslimischen Bewohner dar. Diese ist langsam aus der Erfahrung mit ökumenischen Projekten, Gottesdienstfeiern und interreligiösen Begegnungen aller Art erwachsen. Dabei möchte er wie gesagt ein anderes Jerusalem zeichnen, nicht eines des Hasses und der Intoleranz, – die zweifellos präsent sind und die allein im Fokus der Presse stehen -, sondern eine Stadt des Dialogs und des friedlichen Miteinanders, das zahlreiche Bewohner täglich praktizieren.
So schildert der Autor mit jugendlicher Frische amüsante Straßengespräche mit einem neugierigen Haredi, einem ultraorthodoxen Juden, über den Grund seiner Ehelosigkeit, das doch dem Gebot der Fruchtbarkeit entgegenstünde. Am Schluss räumte der Mann seufzend ein, dass der Zölibat keine so schlechte Erfindung sei. Ihm würden Frau und Kinder viel Zeit und Kraft vom Studium der Thora rauben. P. Nikodemus liebt gerade das große Aufgebot an religiösen Riten und Brauchtum, das Jerusalem bietet. Ihm gefällt es, sich bei seinen Spaziergängen durch die Altstadt mit Armeniern, Juden, Christen und Muslime über Gott und die Welt zu unterhalten. „Gespräche in Jerusalem sind niemals banaler small talk, sondern stets intensiv, oft aufreibend, aber fast immer bereichernd.“
Viele Fragen
Die einzelnen Buchkapitel sind thematisch nach Fragen geordnet, so wie sie ihm erfahrungsgemäß von deutschen Besuchern gestellt werden. Der erste Teil nimmt die sehr offenen Darlegungen des Autors zum eigenen Glaubens- und Lebensweg ein, die sehr kurvenreich waren. Sie führten vom rebellischen Scheidungskind einer Künstlerfamilie, über die katholische Konversion mit nur 13 Jahren zum Klostereintritt im Dormitio. Der zweite Teil handelt von seinem Verhältnis zu den anderen Christen, zu den Juden und den Muslimen. In allen drei Konfessionen pflegt er Freundschaften. Bei seinen (nichtgläubigen) jüdischen Freunden zum Beispiel lobt er das Geschichtsbewusstsein und den Respekt vor allem Religiösen, Eigenschaften, die in der laizistisch betonten deutschen Gesellschaft immer mehr abhandenkämen. Den ultrareligiösen Haredim, die im eigenen Land als „Schmarotzer“ gelten, weil sie den Kriegsdienst verweigern und die Männer nicht arbeiten, gewinnt P. Nikodemus hingegen viel Sympathie ab. Sie seien völlig friedfertig, bescheiden und würden eine vorbildliche Familiensolidarität und einen liebevollen Umgang mit Behinderten pflegen.
Das Verhältnis der Christen zueinander
Obwohl die Christen als einzige der drei monotheistischen Religionen Jerusalem als ihre rechtmäßige „Geburtsstadt“ beanspruchen dürfen, – Jesus hat hier gelebt und den Tod gefunden, – leben heute nunmehr knapp zwei Prozent Christen in ihr. Und diese verschwindende Minderheit ist hinzu auch noch extrem fragmentiert. Sie splittert sich in 50 verschiedene Konfessionen auf, die von den zahlreichen Orthodoxen über die mit Rom unierten Kirchen zu den Baptisten reichen. Das Verhältnis der Kirchen untereinander sei heute von mehrheitlich freundschaftlichem Zusammenhalt geprägt. Man besuche sich gegenseitig an den Festtagen und feiere gelegentlich gemeinsame Gottesdienste. Der interreligiöse Dialog auf hoher theologischer Ebene könnte jedoch verbessert werden, wünscht sich der Pater. Die Machtspielchen, wie die sich wegen übertretener Gebetszeiten zankende Mönche in der Grabeskirche, seien hingegen seltener geworden und würden von allen heute als beschämend empfunden. Besonders enge Kontakte unterhält der Pater zu den Mönchen der orthodoxen Ostkirche. „Es gibt eine Mönch-zu-Mönch-Ökumene, die stärker als das Schisma ist.“ Der Benediktiner begrüßt den jüngsten Zuwachs von Christen aus Äthiopien, Eritrea, Somalia und dem Süd-Sudan. Sie leben meistens als arme Gastarbeiter in Israel. Ihre dort geborenen Kinder könnten jedoch in Wesentliches zur zukünftigen Ökumene und Wiederbelebung des Christentums im Heiligen Land beitragen.
Gottessuche contra religiöse Hooligans
Ein eigenes Kapitel ist dem religiösen Fanatismus gewidmet, das brenzligste Thema. Den bekommt der Pater seit einiger Zeit am eigenen Leibe zu spüren, wenn er von national-religiösen Juden auf der Straße angespuckt wird. Vandalismus gegen christliche Kirchen und Gräber häufen sich. Im vergangenen Juni wurde das Atrium der Brotvermehrungskirche in Tabgha durch Brandstiftung von jüdischen Siedlern schwer beschädigt. Befreundete Rabbiner sind dabei Gelder für den Wiederaufbau zu sammeln. Auch das ist Israel.
Der Pater lässt sich nicht auf eine einfache Parteinahme ein. Vor „Idioten“ sei keine Religion gefeit, alle hätten ihre aggressiven Schattenseiten. In einem ist er jedoch gewiss: niemals seien Gewalttäter im Namen einer Religion als gläubige oder religiöse Menschen anzusehen. “Beim Glauben geht es um Gottsuche und nicht um Identitätssuche!” Religionshooligans tragen die Abzeichen eines echten Gläubigen, suchten aber in Wirklichkeit nicht Gott, sondern nur eine identitätsstiftende Gruppenzugehörigkeit, welche immer wieder bewusst die Abgrenzung zu den anderen Religionen verlangt, gerne auch gewaltsam.”
Als einziges Mittel gegen Fanatismus sieht P. Nikodemus eine geduldige Anleitung und einfühlsame Begleitung zur Gottsuche. Billiges Abfertigen mit scheinbar zweifelsfreien Antworten würden zwar eine klar umgrenzte Identität bescheren, nicht aber zu Gott führen, der Frieden bedeutet. “Wahre Religiosität, die Gott sucht, schenkt nämlich den demütig realistischen Blick, dass der andere genauso Suchender, genauso ein Abbild Gottes und von Gott genauso geliebt ist wie ich selbst!”
Ehe mit einer Diva
Für Pater Nikodemus ist Jerusalem eine Art Lebensgefährtin. Er vergleicht sie mit einer geheimnisvollen, launischen Diva, die täglich neu erobert und verstanden werden will. Eine anstrengende Partnerin, die einen herausfordert, die jedoch nie langweilig ist. „Eine mutige Frau voller Energie und Leidenschaft, die aber von den Spuren eines bewegten Lebens deutlich gezeichnet ist und diese Spuren auch unverhohlen zeigt.“ Nur wer sich ganz auf sie einlässt, sieht auch ihre anmutigen, reizvollen Teile. Auf nach Jerusalem!
Der Autor: Pater Nikodemus Schnabel, geboren 1978 in Stuttgart, studierte Theologie u.a. in München und Jerusalem. 2003 trat er in die Dormitio-Abtei auf dem Berg Zion ein und wurde 2013 zum Priester geweiht. Als promovierter Theologe und Ostkirchenexperte ist er Direktor des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft, Seelsorger für deutschsprachige Katholiken in Israel und Palästina und Pressesprecher seines Klosters.
Pater Nikodemus Schnabel: Zuhause im Niemandsland
Mein Leben im Kloster zwischen Israel und Palästina
176 Seiten
(D) € 20,- (A) 20,60 (CH) sFR 24,90
ISBN: 978-3-7766-2744-2
Herbig Verlag, 14. September 2015