Neugeborenes im Stadtzentrum von Bologna erfroren
ROM, 12. Januar 2011 (ZENIT.org).- Kann im 21. Jahrhundert ein eben zwanzig Tage altes Kind in den Geschäftsstraßen einer reichen Metropole erfrieren, ohne dass dies ein Bürger bemerkt? Nicht etwa in irgendeinem anonymen Hauseingang versteckt, sondern unter den eleganten Laubengängen der Piazza Maggiore, die für das Feuerwerkspektakel an Sylvester fünfzehntausend Menschen gesehen hatte. Das fragen sich in diesen Tagen die Einwohner von Bologna. Eine Stadt ist unter Schock.
Für den kurz vor Weihnachten geborenen Devid Berghi kam im Morgengrauen des 4. Januar jegliche ärztliche Hilfe zu spät. Er starb im Krankenhaus Sant’Orsola an einer Lungenentzündung infolge von Unterkühlung. Schlicht und ergreifend erfroren, in den eisigen Nächten der Stadt am Apenninrand. In der Weihnachtszeit sank das Thermometer mehrfach unter die Nullgrenze. Die Eltern des kleinen Devid hausten mit dem Zwillingsbruder und der eineinhalbjährigen Schwester auf der Straße. Tagsüber suchten sie Unterschlupf in den beheizten Räumen der Stadtbibliothek, nachts jedoch schliefen sie in Decken eingehüllt unter freiem Himmel. Eben in den besagten Laubengängen, die wenigstens vor Niederschlag schützten.
Der Vorfall hat in der italienischen Presse lautes Echo hervorgerufen. Die Bürger von Bologna zeigen sich besonders betroffen, weil es sich hierbei um Landsleute handelt. Letzten Winter ist in einem erbärmlichen Nomadencamp am Stadtrand von Rom ein kleines rumänisches Kind erfroren, weitab von den Blicken der Einwohner. Aber das erschütterte die Gemüter weit weniger, handelte es sich doch um sozial Ausgestoßene, dazu um Fremde, so zynisch das klingen mag! Umso größer war das Entsetzen, dass sich in der wohlhabenden Universitätsstadt ein solch trauriges Schauspiel wiederholen sollte. Eine Stadt, die im Volksmund wegen ihres satten, gebildeten Bürgertums „la grassa e la dotta“, die „Fette“ und „Gelehrte“ genannt wird. Hinzu kommt ihr Ruf eine der wenigen Städte Italiens mit viel gepriesenen „vorbildlichen Sozialeinrichtungen“ zu sein.
Das Elternpaar, Italiener Mitte dreißig, ging keiner geregelten Arbeit nach. Ihre Meldeadresse in der Altsstadt war angeblich nur pro forma, gewohnt hätten sie dort nie. Das Sozialamt hatte in der Vergangenheit der Mutter die Vormundschaft über ihre ersten beiden Kinder entzogen; sie leben in Pflegefamilien. Möglicherweise hatte die Angst davor, dass ihnen nun auch die neugeborenen Kinder entrissen werden könnten, sie davon abgehalten, ihre prekäre Situation preiszugeben und um Hilfe zu bitten. Die fünfköpfige Familie war sowohl den privaten karitativen Einrichtungen bekannt – sie aßen häufig in der Armenmensa -, als auch dem öffentlichen Sozialdienst. Aber offenbar hat keiner genau nachgefragt und ganz sicher hat keiner richtig hingeschaut. Die Behörden sind dabei, die wenigen traurigen Lebenstage des Säuglings zu rekonstruieren und eventuelle juristische Verantwortlichkeiten auszumachen. Den Eltern droht eine Klage wegen fahrlässiger Tötung.
Während Kardinal Carlo Caffarra, Erzbischof von Bologna, Mitbürger und Ämter gleichsam der Gleichgültigkeit und Nachlässigkeit beschuldigt und an ihre Barmherzigkeit und Nächstenliebe appelliert, sieht der Direktor der örtlichen Caritas, Paolo Mengoli, die Hauptverantwortung für den Tod in erster Linie bei den Sozialämtern. Schließlich hätten diese ihre Verpflichtung, nach der Geburt der Zwillinge den Zustand und Versorgung der Familie zu überprüfen, nicht wahrgenommen.
„Wir haben es hier nicht mit geistig Schwachen oder Drogensüchtigen zu tun, sondern mit Armen. Es sind ganz einfache Personen, die Kinder bekommen haben und irgendwann ohne Unterstützung blieben… Es genügte, dass sie nicht mehr ein festes Wohnquartier als Bezugspunkt besaßen, um von der Datei des Sozialamts nicht mehr erfasst zu werden.“ Mengoli kritisiert ferner, dass der Staat nicht ausreichend auf die jüngste soziale Not im Lande reagiere und entsprechende Infrastrukturen schaffe: „Der unnötige Tod des kleinen Devid ist der Beweis für ein nicht mehr vorhandenes Familiennetz, und für eine Gesellschaft, die diese Lücke nicht zu schließen weiß.“
Angesichts dieses Unfalls und der bemängelten Unzulänglichkeit der kommunalen Sozialämter hat nun die Caritas die Einrichtung eines mobilen Sozialarbeiterdienstes angeboten.