Langzeitehen werden künftig nicht mehr automatisch zivilrechtlich annulliert
ROM, 28. Januar 2011.- Mit dem Grundsatzurteil des italienischen Revisionsgerichts von letzter Woche (Urteil 1343/2011) ist eine wichtige Änderung in dem zivilrechtlichen Eheannullierungsverfahren herbeigeführt worden. Zukünftig werden von der katholischen Kirche annullierte Langzeitehen nicht mehr automatisch auch vom italienischen Zivilgericht annulliert.
Während der deutsche Gesetzgeber eine Nichtigkeit der Ehe ex tunc, das heißt rückwirkend, schon im Jahr 1998 abgeschafft hat, gilt in Italien bisher noch der im Konkordat mit dem Heiligen Stuhl vereinbarte Grundsatz, dass der italienische Staat die von einem Kirchengericht ausgesprochene Annullierung eines Ehesakraments auch zivilrechtlich anerkennen muss, sofern diese nicht im „Kontrast mit der bürgerlichen Gesetzgebung zum Schutze der Familien stünde“.
Gemeint sind zum Beispiel seltene Nichtigkeitsverfahren von Ehen, wenn Kinder vorhanden sind. Diese wurden in den meisten Fällen vom italienische Gericht abgelehnt. Nicht hingegen die mehrheitlichen Anträge von kinderlosen Eheleuten, denen bisher „ungesehen“ vom italienischen Zivilgericht stattgegeben wurde. Die zivilrechtliche Annullierung ist von größter Wichtigkeit, löschen doch damit rückwirkend sämtlicher zivilrechtliche Ansprüche aus der Ehe wie Besitzteilung und vor allem Unterhaltszahlungen für den Partner.
Den Präzedenzfall schuf die Klage von Maria Lorenza aus Venetien beim Revisionsgericht, der stattgegeben wurde. Ihr Mann hatte nach über zwanzigjähriger Ehe wegen angeblich vorgetäuschtem Kinderwunsch seitens der Frau eine kanonische und anschließend zivilrechtliche Annullierung erhalten.
Nun entschied der Revisionsgerichtshof, dass in „so vielen Jahren des Zusammenlebens es unmöglich gewesen sei, dass die Frau eine Ausschließung des bonum prolis, die Verweigerung von Nachwuchszeugung hätte vertuschen können“. Sprich, der Gatte wird nicht erst nach zwanzig Ehejahren gemerkt haben, dass seine Frau keine Kinder mit ihm zeugen wollte. Er hätte seine Klage „früher“ einreichen müssen. Nun bleibt ihm nur noch der zivilrechtliche Weg der Scheidung.
Das Grundsatzurteil enthält nicht etwa eine versteckte Kritik an der Verfahrensweise der autonomen Kirchengerichte, vielmehr geht es darum, dass die Annullierung der Ehe nicht zu einem Hintertürchen wird, um sich nachehelichen Unterhaltsverpflichtungen zu entziehen. Hinzu kommt der nicht unerhebliche Aspekt der Zeitersparnis. Im Vergleich zur italienischen Scheidungsprozedur, die mit den vorangegangenen obligatorischen drei Trennungsjahren insgesamt zwischen vier und fünf Jahren in Anspruch nimmt, werden das kanonische und zivile Annullierungsverfahren allgemein in der Hälfte der Zeit abgewickelt.
Gian Ettore Gassani, Präsident der Anwaltsvereinigung der Eherechtler, zeigt sich nach jahrelangen Kampf zufrieden über das neue Urteil: „Endlich wird mit dieser historischen Sentenz des Revisionsgerichtes der vermehrten unbedachten Anerkennung von kirchlichen Annullierungen durch die Zivilrichter ein Riegel vorgeschoben.“
Die Zahlen sprechen Klartext: In Italien endet eine gescheiterte Ehe von fünf vor dem Diözesangericht bzw. vor der Sacra Rota. Allein im Jahr 2009 wurden dort 8400 Annullierungsanträge eingereicht, denen knapp 6000 stattgegeben wurde. Mit 64% ist die bei der Heirat von einem der Partner verheimlichte Ausschließung des bonum prolis der häufigste von insgesamt neun Gründen, die das kanonische Recht als Motiv für eine Nichtigkeit des Ehesakraments gelten lässt.
Papst Benedikt XVI. hat seit 2008 wiederholt den ordentlichen Appellationsgerichtshof der Sacra Rota, der seinen Sitz in dem römischen Palazzo della Cancelleria hat, ersucht, mehr Strenge bei der Prüfung der Gültigkeit des Ehesakraments walten zu lassen. Erst vor wenigen Tagen hat der Heilige Vater anlässlich der Eröffnung des Gerichtsjahres 2011 seinen Appell an die Richter der Rota erneuert, den „Teufelskreis zu unterbrechen, der mit der routinemäßigen Zulassung zur Ehe ohne angemessene Vorbereitung begänne und gepaart mit dem fehlenden Examen der für deren Schließung vorgesehenen Erfordernisse zu einer leichtfertigen juristischen Erklärung führe, bei der die Ehe nur aufgrund der Feststellung ihres Scheiterns als nichtig erachtet wird“(ZENIT berichtete).
Nun scheint dieser Appell auch von den Zivilrichtern erhört worden zu sein. Eherechtler Gian Ettore Gassani betrachtet die Beweggründe, die die italienische Justiz zu dem Urteil verleitet hat, als eindeutig:
„Die Ratio dieser richterlichen Entscheidung liegt in der Notwendigkeit zu verhindern, dass die Heranziehung der Kirchenjustiz und dann erst des Zivilgerichts zu einem bedenkenlosen und unkontrollierter ‚Ausweg‘ wird, um sich in kürzester Zeit aus einer Ehe zu befreien. Das hat allerdings nichts mit der sakramentalen Bedeutung der Ehe und den wirklichen Gründen zu tun, die entscheidend waren für eine kanonische Annullierung.“
Im deutschen Recht wurde mit der Abschaffung der Ehe-Nichtigkeit Konflikte dieser Art ausgeschlossen. Es gibt nur noch die so genannte Aufhebung der Ehe. Deren Ausspruch wirkt aber anders als die Nichtigkeit ex nunc, also nicht auf den Tag der Eheschließung zurück.