Airbnb darf als Gladiatoren verkleidete Touristen im Kolosseum kämpfen lassen. Bald schon könnte es bombastische Reenactment-Festspiele auch in anderen italienischen Kunststätten geben. Die Kulturvermittlung der Meloni-Partei tritt in eine neue Phase des Populismus ein – mit Folgen.
(ytali.com 05.12.2024) Als sich Ryanair 2012 als Sponsor für die dringende Restaurierung des Kolosseums anbot, rümpfte die Politik die Nase: den irischen Billigflieger sah man nicht gerne im Olymp der Retter des Wahrzeichens von Rom. Es war Ehrensache, dass der erfolgreiche, kultivierte Schuhfabrikant Diego della Valle, ein Landsmann, den Zuschlag bekam. Sein Firmenabzeichen durfte er dennoch nicht an den Baugerüsten anbringen.
Warum nun zwölf Jahre später die Leitung des Archäologischen Parks des Kolosseums (PArCo) ausgerechnet mit dem US-Buchungsportal Airbnb eine Partnerschaft eingeht, verblüfft nicht wenig. Dem Riesenkonzern, der allein in Italien 11,8 % seiner weltweiten Gewinne einholt (2023) und wegen Hinterziehung der Mehrwertsteuer zu einer Nachzahlung von rund 600 Mio Euro verdonnert wurde, wird bekanntlich die Schuld an der radikalen Verknappung und Teuerung von Mietwohnungen in Rom gegeben. Die kalifornische Businessphilosophie – die die Freiheit des Individuums über die des Kollektivs stellt, eine Freiheit, die die Regierung bisher nicht einzuschränken gedenkt -, hat nach Ende der Pandemie dazu geführt, dass finanzschwache Bürger wie Studenten, Rentner, Berufsanfänger und junge Familien keine Wohnungen mehr in der Metropole finden. Die Prognosen für das kommende Pilgerjubiläum sind sogar noch dramatischer, da auch der letzte Wohnungseigentümer auf die lukrativere Kurzzeitvermietung an Touristen spekuliert. Dass Airbnb nun auch das Kolosseum für seine Zwecke „mietet“, finden viele Römer einen Skandal.
„Schlüpfe in die Rolle von Gladiator II und stelle dich deinem Schicksal im Kolosseum“
Szene aus dem Film “Gladiator 2” von Ridley Scott; Foto: picture alliance / PictureLux/Cu
Der Deal liest sich bizarr: Airbnb sponsert 1,5 Mio US-Dollar und schickt dafür sechzehn ausgeloste Bewerber als Gladiatoren ins Kolosseum. Die Auserwählten dürfen an zwei Abenden im Mai 2025 für ein paar Stunden in die Rüstung eines murmillo oder thraex schlüpfen und im Fackelschein der Arena unter Anleitung in antiker Fechtkunst deletieren. Den „dem Tod Geweihten“ wird noch eine Henkersmahlzeit aus Nüssen und Trauben gegönnt, bevor sie im Fangnetz eines retiarius enden. Über ihr Schicksal entscheidet der Schiedsrichter… Adrenalin pur verspricht das Portal in der reißerischen Ausschreibung. Für eine authentische Ausstattung und Einweisung in die Kampftechnik, um „falsche Stereotypen zu überwinden“, garantieren zwei historische Kostümvereine: Ars Dimicandi, eine Gladiatorengruppe, und der ältere Gruppo storico romano, der ein Miniaturlegionslager auf dem Acker an der Via Appia Antica unterhält.
Eines ist klar: eine ernsthafte Geschichtsvermittlung ist nicht Anliegen von Airbnb und noch weniger von Paramount Pictures, die offenbar die Bildrechte der Show erworben haben. Die Lotterie wurde zum Start des Kolossalfilms Gladiator 2 von Ridley Scott in den italienischen Kinos angekündigt. Eine bessere (und billigere) Werbung konnten die beiden US-Konzerne nicht finden.
Jedem das seine – Kolosseum wird Bühne der Parteien
Die von Airbnb gestiftete Summe sei für die Erneuerung der erst 2018 eröffneten Dauerausstellung „Il colosseo si racconta“, rechtfertigt sich die Direktorin des PArCo, Alfonsina Russo.
Aber benötigt das Kolosseum überhaupt Werbung? Das Wahrzeichen Roms kann sich kaum retten vor den Massen. Mit 12,3 Mio Besuchern 2023 hat es sein Publikum seit 2019 (7,5 Mio) fast verdoppelt. Es dürfte über ausreichend Ressourcen verfügen. Es geht also um etwas anderes: Das Amphitheater zieht wie jeder touristische Hotspot Sponsoren an und lässt sich als Kulisse verkaufen. Es beherbergte auch schon einzelne Konzerte, Preisverleihungen und den G20 Gipfel der Kulturminister.
Die Debatte um die Kommerzialisierung von Kulturgütern durch Privatleute ist alt, die gesetzlichen Weichen dafür wurden bereits 2004 gestellt, obwohl die großen Veränderungen erst mit der Franceschini-Reform kamen. Der ehemalige Kulturminister (PD) war es auch, der die vollständige Rekonstruktion des Arenabodens im Kolosseum (heute ist nur ein Fünftel rekonstruiert) wollte, sein Nachfolger Gennaro Sangiuliano gab sein placet für den Bau. Von dem Fachkomitee damals zum Schutz der steinernen Bühnenmaschinerie (Hypogäum) vor Witterung befürwortet, riskiert der künftige hi-tech-Boden vor allem Gladiatorenschaukämpfe oder ähnliche Touristenspektakel zu sehen: eben alles, was den Massen gefällt und Geld bringt. Denn dass die Meloni-Regierung beabsichtigt, die touristischen Highlights für den Overtourism arbeiten lassen, anstatt sie davor zu schützen, geht aus mehreren Indizien hervor. Mit der Einrichtung der „Abteilung für die Aufwertung des kulturellen Erbes“ (DiVa) im Kulturministerium, zu deren Direktorin – siehe da – Alfonsina Russo vor ein paar Monaten berufen wurde, kann der Kulturminister die „Valorisierung“ landesweit mitsteuern.
Schlachtenfolklore statt Inhalte
Vergangenen Oktober wurden historische Folklorevereine per Gesetz zum förderungswürdigen immateriellen Kulturgut erklärt. Am kommenden 18. Dezember diskutieren Tourismusministerin Daniela Santanché und Federico Mollicone, der Vorsitzenden des Kulturausschusses der Abgeordnetenkammer (FdL), gemeinsam mit dem Gladiatorenverein Ars Dimicandi (u.a.) auf einer Tagung im Senat über Erlebnistourismus als Kurbel für Wirtschaftswachstum. Thema sind große Festivals mit historischen Nachstellungen (reenactment). Mollicone wünscht sich solche im Stile der „Römertage“ von Nîmes. Die Bewunderung von Fratelli d’Italia für das Monumentale der Antike, den Grandezza-Wahn der Cesaren und die Idee des Imperiums sind bekannt. Das Kolosseum hat diesbezüglich einen besonderen Symbolgehalt, führten doch die faschistischen Paraden vom Amphitheater direkt auf das Büro Mussolinis im Palazzo Venezia zu.
Zweifellos ist live experience die neue Art von Tourismus. Der Besucher möchte in die Zeitmaschine steigen und nicht mehr Schautafeln lesen oder sich mithilfe von Buchlektüre vorbereiten. Natürlich ist es ein Unterschied, ob Multimedia-Installationen in antiken Ruinen eingesetzt werden, um eine Vorstellung von der ursprünglichen Gestalt der Bauten zu vermitteln, oder ob der Besucher realer Teilnehmer eines Kampfes wird, den er aus Hollywoodfilmen und vor allem aus Videogames kennt. Bei letzterem geht es um Emotionen und nicht um Wissensvermittlung.
Dazu gesellt sich – in Zeiten der globalen Kriegsstimmung – auch eine ethische Frage: ist es heute vertretbar, sich an den blutigsten Exzessen des Antiken Roms, der Wiege des Abendlandes, zu laben? Dann könnte man auch christliche Ketzerprozesse mit finalem Scheiterhaufen „wiederaufführen“. Das Kolosseum ist Vorläufer der modernen Stadien, seine Arkadenordnung inspirierte Renaissance-Architekten und sein Pflanzenreichtum beschäftigt heute Botaniker. Ist das nicht ausreichender Erzählstoff?