Sehnsucht nach Licht und Wärme
ROM, 21. Dezember 2011 (Vaticanista).- Gestern wurde kurz nach Einbruch der Dunkelheit das erste Licht angezündet. Die Flamme tanzte im Wind auf einem riesigen neunarmigen Leuchter, den die Stadtregierung auf der Piazza Barberini, einem verkehrsumtosten Platz im Zentrum von Rom, aufgestellt hat.
Gut sichtbar soll das Symbol des jüdischen Lichterfestes Chanukka sein, dessen achttägiger Festzyklus gestern mit der Vigil eröffnet wurde. Der Leuchter inmitten der Altstadt will als ein Zeichen der Versöhnung und Freundschaft der römischen Bürger mit seinen jüdischen Mitbewohnern verstanden werden. Die ganze Stadt soll teilhaben an dem jüdischen Freudenfest! Vergessen sind die Zeiten unliebsamer Nachbarschaft, der Unterdrückung und Verfolgung, der Segregation im Ghetto, die bis zum Ende des Kirchenstaates 1870 anhielt. Einen entscheidenden Impuls für eine Annäherung und Öffnung zwischen Kirche und Judentum brachte – nach der Konzilserklärung Nostra Aetate – der Aufsehen erregende Synagogenbesuch von Papst Johannes Paul II. im Jahre 1986, der von seinem Nachfolger Papst Benedikt XVI. sogar institutionalisiert wurde.
Die heute etwa 16.000 jüdischen Bewohner Roms präsentieren sich als selbstbewusste wie engagierte Gemeinde, ihre Feste und ihr Brauchtum sind Bestandteile der römischen Stadtkultur und Geschichte geworden. Bereits im 3. vorchristlichen Jahrhundert gegründet, rühmt sie sich die älteste Diasporagemeinde Europas zu sein. Sie pflegt sephardisches Brauchtum.
Das intime Zeremoniell der Gemeinde findet allerdings nicht auf der lauten Piazza Barberini statt, sondern in ihrem eigenen Viertel, dass immer noch Ghetto genannt wird. Vor der großen Synagoge, ein prächtiger Jugendstilbau am Tiber, wurde eine zweite, fünf Meter hohe, bronzene Chanukkia aufgestellt. Oberrabbiner Riccardo Di Segni entzündete hier gestern mit dem Schamasch, der Dienerkerze, das erste Licht. Er sagte drei Segenssprüche und rezitierte Psalm 30. Jeden Abend, acht Tage lang, kommt ein neues hinzu bis alle Lichter der Chanukkia brennen. Aber für die Kinder ist die Vigil, die Entzündung der ersten Kerze der wichtigste Tag. Aus allen Stadtteilen kamen die jüdischen Familien zusammen und drängten sich auf der engen Piazza um den Leuchter. Die Kleinsten durften ganz vorne stehen, sie waren freudig erregt, denn auf sie wartete anschließend die Bescherung zu Hause. Aber zuvor wird von einem Kind die Geschichte der Makkabäer vorgelesen. Die Stimmung ähnelt derer kurz vor unserer christlichen Weihnachtsbescherung. Und das nicht nur wegen der Geschenke, die am ersten Abend ausgetauscht werden.
Chanukka (dt. Wiedereinweihung) ist das einzige jüdische Fest, das nicht im Tanach verwurzelt ist, sondern später von Talmudmeistern eingeführt wurde. Es erinnert an die Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels im Jahr 165 v. Chr. nach dem erfolgreichen Aufstand der jüdischen Makkabäerbrüder gegen die griechische Seleukidenherrschaft. Der Überlieferung zufolge konnte ein einziger Krug mit geweihtem Öl für die Menorah im Tempel gerettet werden. Normalerweise hätte diese Menge Öl nur für einen Tag als Brennstoff ausgereicht. Wie durch ein Wunder brannte der Tempelleuchter aber acht Tage lang. Zentrales Motiv des alljährlichen Festes ist daher das Anzünden des Chanukka-Leuchter, Chanukkia genannt.
Es ist das Fest des Lichts, das die Wintersonnenwende ankündigt. Danach werden die Tage wieder länger. Chanukka wird am 25. Tag des Kislew, das heißt am Ende des neunten Monats des jüdischen Mondkalenders gefeiert. Das Datum schwankt um die Weihnachtszeit des gregorianischen Kalenders. Der alte Volksreim “Chanukka, Chanukka – bald ist der Advent schon da!” weist auf die zeitliche Parallelen zum christlichen Weihnachtsfest. Bei Fixierung des christlichen Hochfestes im 4. Jahrhundert wurde nicht zufällig der Geburtstag des Sol Invictus, des unbesiegbaren Sonnengottes, gewählt. Dieser war vor dem Triumph des Christentums offizieller Reichskult.
Das Licht wird hier zum Vehikel für das spirituellste aller Phänomene. Die drei Religionsfeste drücken den gemeinsamen Wunsch nach Wärme und Lebensenergie aus, sie feiern die Überwindung der Finsternis, den Sieg des Guten über das Böse, den Beginn neuen Lebens. Zweifellos hat das jüdische Lichterfest auch die christlichen Advents- und Weihnachtsbräuche mit beeinflusst. Aber umgekehrt hat im 20. Jahrhundert die Ausgestaltung des Weihnachtsfestes als Hauptfest der Christen zur Hebung des Chanukka und der stärkeren Gewichtung des Schenkezeremoniells beigetragen.
Chanukka gilt als das heiterste und ausgelassenste unter den zahlreichen jüdischen Festen. Es findet vor allem im häuslichen Ambiente statt. An acht Abenden versammelt sich die Großfamilie mit Freunden zum Anzünden der Chanukkia, die auf das Fensterbrett gestellt wird. Wer ebenerdig wohnt, kann sie auch in den Hauseingang stellen. Wichtig ist, dass der Leuchter von der Straße aus sichtbar ist, denn sie soll das Ölwunder verkünden.
Es werden Lieder gesungen und persönliche Wünsche erbetet. Diese Gebete haben eine besondere Wirksamkeit, weil sie mit der Mizwa des Kerzenzündens in Zusammenhang stehen. Die Kleinen vergnügen sich derweil mit dem Dreidel, einem vierkantigen Kreisel, den sie auf Tischen um die Wette drehen lassen. Er trägt die vier hebräische Buchstaben (Nun, Gimel, He, Schin), die die Initialen für den Satz „Ein großes Wunder geschah dort” bilden (hebr. Nes Gadol Haja Scham).
Dann schreitet alles zum Festmahl. Gegessen wird alles, was mit Öl zubereitet werden kann. Im Land der hoch entwickelten Kulinarik sind natürlich ganz besondere Speisen kreiert worden. So frittieren die römischen Juden gesalzenen Stockfisch und alle Arten von frischem Gemüse wie Zucchini, Blumenkohl und Artischocken. Zuvor wälzt man die klein geschnittenen Zutaten in einem feinen Brandteig. Latkes, in Fett gebratene Kartoffelpuffer sind international bekannte jüdische Gerichte des Festtages. Besonders beliebt bei Kinder sind die frittierten Krapfen, Sufganiot genannt.
Die Kinder fiebern nach dem gemeinsamen Mahl der Geschenkübergabe entgegen. Einst gab man ihnen ein paar Münzen, die sie teilweise wiederum an Arme und Kranke verteilen sollten. Heute hingegen ist es üblich, Spielzeug, Bücher und Süßigkeiten zu schenken. Die Feier ziehen sich tief bis in die Nachtstunden hin. Kein Problem, es darf morgens ausgeschlafen werden, denn die jüdischen Schulen sind während der acht Chanukka-Tage geschlossen.