Über 200 Veranstaltungen gedenken der cluniazensischen Tradition in ganz Europa
ROM, 25. September 2009 (ZENIT.org).- Die berühmte Abtei von Cluny feiert 1100-jährigen Geburtstag. Mit rund 200 Eventen spiritueller und kultureller Natur will man dem Gründungsjubiläum gedenken. Zum Auftakt des Festjahres wurde in der frühromanischen Abtei Saint Pierre von Baume, dem Mutterkloster des Gründers eine feierliche Christ-Vesper gebetet. Cluny selbst wird ab jetzt für ein Jahr Schauplatz von 80 Veranstaltungen sein, die restlichen 120 verteilen sich auf andere cluniazensische Stätten in ganz Europa.
Vergangenen Sonntag öffneten unter dem Motto “ öffnet die Türen” 12 verschiedene Stadtviertel von Cluny jeweils eine Pforte. Jede Tür zeigte in eine andere Richtung Europas, gleich dem strahlenförmigen Einfluss, der im Mittelalter von der mächtigen Abtei als Zentrum der gleichnamigen monastischen Reform ausging. Cluny möchte mit dieser symbolischen Geste nach vielen Jahrhunderten des Vergessens erneut Sendezentrale der christlichen Botschaft sein.
Dass ausgerechnet in diesem abgelegenen bewaldeten Winkel Burgunds einmal eine geistliche und politische Strahlkraft entwickelt würde, die auf weite Teile Europas wirken sollte, konnte Benediktinerabt Berno nicht ahnen, als er sich zusammen mit zwölf Mönchen im Jahr 909/910 dort niederließ.
Der Herzog von Aquitanien, Wilhelm I. hatte ihm die Gründung des Klosters anvertraut, das sogleich unter die Obhut des Papstes gestellt wurde (Exemption). Außerdem wurde freie Abtswahl garantiert. Anliegen des Stifters war, sein Kloster vor weltliche Einmischung zu schützen und gleichzeitig das monastische Leben wieder zu seiner ursprüngliche Bestimmung zurückzuführen. Denn die Integrierung der Klöster in die fränkische Reichsverwaltung hatte zu einem allmählichen Macht- und Reichtumsgewinn der Großklöster geführt – und das Armutsideal vernachlässigt. Zudem hatte das in der Benediktinerregel vorgeschriebene Gleichgewicht zwischen Handarbeit und Gebet sich zugunsten der körperlichen Tätigkeiten der Mönche verschoben.
Die Gründungscharta verpflichtete die nun von harter Feldarbeit freigestellten Mönche, Arme und Pilger täglich zu unterstützen, eine Aufgabe, die sich schnell zur wichtigsten Aktivität des Ordens entwickelte.
Im Zentrum des Reformgedankens stand neben der gesteigerten Spiritualität die stärkere Gewichtung der Liturgie im Mönchsalltag. Letztere wurde mit prächtigen, prunkvollen Prozessionen, mit Gesang und kostbarem Altargerät endlos ausgestaltet. Im Chor der gewaltigen Kirche lösten sich die Mönche gruppenweise ab im Chorgebet, das nicht die geringste Unterbrechung erleiden durfte. Bis zu 200 Psalmen wurden täglich von den Mönchen gebetet. Wegen dieser sakralen Prachtentfaltung Anziehungspunkt für Adlige und betuchte Bürger, sorgte der Verkauf von Messen, aber auch großzügige Spenden für eine Anhäufung von Reichtümern des Ordens. Die äußere Pracht jedoch berührte nicht das eigentliche Klosterleben der Mönche, das sich ganz einer strengen Askese verschrieben hatte. So lebte der Abt nicht, wie Benedikt in seiner Regel erlaubt und es auch sonst praktiziert wurde, in einer eigenen Wohnung, sondern zusammen mit den Mönchen. Das Reden wurden auf das Wesentliche beschränkt, zur Verständigung im Alltag diente eine hoch differenzierte Zeichensprache.
Zahlreiche Klöster kopierten die Ordensreform und unterstellten sich der Abtei von Cluny, es wurden aber auch neue Priorate gegründet. So entstand der straff organisierte Cluniazensische Verband mit seinen vier Stufen von eingegliederten Klöstern, an dessen Spitze der Abt von Cluny fast wie ein Monarch regierte. Die Zugehörigkeit zu Cluny brachte Privilegien und Hochachtung mit sich wie die Sicherheit vor Übergriffen der Bischöfe und weltlicher Herren. Um 1200 herrschten die Äbte über mehr als 1.400 Klöster mit circa 20.000 Mönchen in ganz Europa und im Heiligen Land. In Deutschland wurde das Kloster Hirsau im Nordschwarzwald wichtiger Stützpunkt der Bewegung.
Nur 15 Jahrzehnte sollte die Blüte von Cluny dauern, eine relativ kurze, aber sehr intensive Epoche, in der von der Abtei entscheidende Impulse für das mittelalterliche Reformpapsttum ausgingen. Denn die Päpste ahmten das Reformmodell nach und versuchten sich aus der Klammer des Kaisers und römischen Stadtadels zu befreien. Auch die Kanzlei von Cluny machte als vorbildliche Verwaltungseinrichtung Schule. Aus ihr rekrutierten die Reformpäpste ihre besten Verwaltungsbeamten und schufen mit deren Hilfe die erste päpstliche Finanzbehörde, die Apostolische Kammer.
Von 910 bis 1157 wurde Cluny von sechs berühmten Äbten regiert, zwei darunter gingen als Heilige in die Geschichte ein: Odilo und Hugo von Semur. Es war die fruchtbarste Zeit des „Mönchstaates“ und Höhepunkt der Bewegung. Mit diplomatischem Geschick gelang es dem Orden, Vertrauensbeziehungen zu den Adeligen der Provinzen und den großen Herrscherhäusern aufzubauen. Kaiser, Könige und Päpste schätzten die Äbte von Cluny wegen ihrer Neutralität und hohen Bildung als Ratgeber. Im Investiturstreit wurden diese als Schiedsmänner gerufen. Ihre Unabhängigkeit beweist die Aufnahme des vom Heiligen Stuhl verurteilten Philosophen Petrus Abaelardus in den Klostermauern von Cluny, der bis zu seinem Tode den Schutz des Großabts Petrus Venerabilis genoss.
Universelles Interesse und ein offener Geist zeichnete Cluny als intellektuelle Elitegemeinschaft aus. Es wurden die Erneuerungen der Wissenschaften, das Antikenstudium und die Übersetzung des Korans in die lateinische Sprache toleriert und gefördert.
Auch im Bereich der romanischen Sakralarchitektur wirkte Cluny typenbildend für das Abendland. Die Abteikirche wurde im 11. und 12. Jh. zweimal erneuert und so schrittweise den veränderten liturgischen Anforderungen angepasst. Besonders das zweite Gotteshaus von 981 hatte großen Einfluss auf den deutschen Kirchenbau im 11. Jh. Mit dem dritten Neubau (1088-1120) entfaltete die Klosterbaukunst ihre größte Pracht und erreichte gewaltige Dimensionen. Die 187 m lange fünfschiffige Basilika mit ihrem doppelten Querschiff und den fünf Türmen war bis zum Neubau des Petersdoms in Rom die größte Kirche der Christenheit. Man nannte sie das „zweite Rom“ oder auch „Zentrum der Welt“. Besonders beeindruckend war das 30 m steile Gewölbe mit einer Spanne von über 12 m. Vergrößerung und Akzentuierung des Chors war auch durch die neue Rolle der Musik in der Liturgie bedingt. Mit der Einführung des komplizierten steinernen Gewölbes anstelle der früheren einfachen Holzdecke konnte die Akustik im Chor verbessert werden, klingt doch der sakrale Gesang unter einem solchen monumentalen Gewölbe weit mächtiger und voller.
Mit dem Tod von Abt Petrus Petrus Venerabilis (1156) setzte der langsame Niedergang Clunys ein. Es folgte eine Phase der Stagnation in der Ausbreitung des Klosterverbandes, Verselbständigungstendenzen einiger Priorate schwächten die hierarchische Struktur des Verbandes. Die Krise führte 1252 zum Verzicht auf Unabhängigkeit und Unterstellung der Abtei unter den Schutz des Königs. Seither wurden die Äbte von Cluny nicht mehr frei gewählt. Das Wiederaufbauprogramm der Klostergebäude im 18.Jh., das der Anlage Glanz zurückgeben sollte, konnte jedoch den Todesstoß des Ordens durch die Hand der Französischen Revolution nicht verhindern. 1791 wurde der Orden aufgelöst und wenige Jahre später die Abtei als Staatsvermögen verkauft. Die berühmte Abteikirche fand ein besonders unwürdiges Ende: Sie wurde 1810 in die Luft gesprengt und als Steinbruch für ein staatliches Gestüt ausgeschlachtet. Die eigentlichen Klostergebäude dienen heute als Berufsschule.
Der moderne Besucher von Cluny wird also in dem malerischen Städtchen vergeblich nach der einst vielerorts besungenen prächtigen wie riesigen Abteikirche fahnden. Von ihr sind nur wenige Überreste zu sehen, wie der Südteil des Querschiffs mit zwei Türmen und eine Grabkappelle.
Für die Jubiläumsfeier hat man nun Abhilfe geschaffen: Damit sich der Besucher ein Bild von der Gestalt und den gigantischen Ausmaßen der heute fehlenden Teile der Kirche (Cluny III) machen kann, begleiten anschauliche virtuelle Rekonstruktionen auf Bildschirmen den neuen Rundgang. Der moderne Besucher kann auf diese Weise den Raumeindruck des Sakralbaus nacherleben, der sich den Mönchen vor knapp 900 Jahren unmittelbar nach der Fertigstellung bot.
Aber das Aufspüren und Rekonstruieren der materiellen Hinterlassenschaften und des vergangenen Ruhms des cluniazensischen Ordens kann nicht alleiniges Ziel eines Besuchs von Cluny sein.
Vielmehr lud Monsignore Pierre Calimé, Bistumsprecher von Autun-Chalon-Macôn die Gläubigen auf der Eröffnungsfeier dazu ein, das eigentliche „Herz“ der Abtei zu entdecken, sprich die Glaubensinhalte und Spiritualität, die einst diese großartige Bewegung beflügelt hat. Das Jubiläum möchte Anlass geben, über die christlichen Wurzeln und Identität Europas nachzudenken. Im Sinne genau dieser Botschaft wird das Jubiläumsjahr im Oktober 2010 mit einem internationalen Kolloquium unter dem Motto „Schaffen wir gemeinsam das Europa des Menschen“ schließen.
Weiterführende Informationen zum Jubiläumsprogramm: http://www.cluny2010.eu/